Bericht 2012/2013 Überwachungskommission und Prüfungskommission TPG

04.08.12: Transplantationsskandal weitet sich aus – Ermittlungen zu Transplantationen in Regensburg

04.08.12: Transplantationsskandal weitet sich aus – Ermittlungen zu Transplantationen in Regensburg

Symbolbild OrganentnahmeDer Organspendeskandal von Göttingen zieht immer weitere Kreise. Vor zwei Wochen geriet ein mittlerweile entlassener leitender Transplantationsmediziner der Uniklinik Göttingen in den Verdacht, in 23 Fällen Krankenakten gefälscht zu haben, um ausgewählte Patienten auf der Warteliste für eine Lebertransplantation nach oben zu schieben. Hier ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft, auch gegen einen weiteren Arzt (siehe unser Themenspecial vom 27.07.12).

Nun wurde bekannt, dass auch am Uniklinikum Regensburg in ebenfalls 23 Fällen der Verdacht besteht, dass Manipulationen von Krankendaten im Zusammenhang mit Lebertransplantationen vorgenommen wurden. Dies teilte der bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch am 02.08.12 in einer Presseaussendung mit.

Überprüfung aller Lebertransplantationen von 2003 bis 2008

Das Universitätsklinikum Regensburg habe sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe am Uniklinikum Göttingen eine interne Überprüfung aller Lebertransplantationen für den Zeitraum von 2003 bis 2008 veranlasst, so der Minister. In diesen Jahren war der in Göttingen verdächtigte Mediziner als Oberarzt in Regensburg tätig. Bei der ersten internen Überprüfung von insgesamt 250 Fällen hätten sich bisher 23 Verdachtsfälle in den Jahren 2004 bis 2006 ergeben. Weitere Fälle seien nicht auszuschließen.

„Die Manipulationen der Krankendaten wurden auf den Meldebögen an Eurotransplant vorgenommen. Dadurch wurden Patienten bei der Zuweisung von Lebern zu Unrecht bevorzugt. Momentan gehen wir davon aus, dass alle Manipulationen von dem Arzt aus Göttingen veranlasst wurden. Aber selbstverständlich wird dies umfassend geprüft werden müssen“, erläuterte Heubisch. Er versprach alles zu unternehmen, um schnell und umfassend aufzuklären und alles zu tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern.

Der Vorgang sei bereits der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Eurotransplant, die Bundesärztekammer und das bayerische Gesundheitsministerium seien informiert worden. Weitere Schritte seien in Vorbereitung, betonte Heubisch. Er habe das Uniklinikum zudem aufgefordert zu prüfen, ob der zuständige Klinikdirektor seinen Aufsichtspflichten nachgekommen ist. Darüber hinaus empfahl der Minister dem Uniklinikum eindringlich, bis dies geklärt ist, das Beschäftigungsverhältnis ruhen zu lassen. Er betonte, dass damit keinerlei Vorverurteilung verbunden sei.

Bereits in der vergangenen Woche hatte Heubisch die fünf bayerischen Universitätskliniken aufgefordert, ihre Strukturen zu überprüfen, um potentiellem Fehlverhalten Einzelner effektiv vorzubeugen. Um hier schnell weiterzukommen, werde er ein Treffen aller bayerischen Transplantationszentren veranlassen, bei dem über Verbesserungsmöglichkeiten diskutiert und nächste Schritte verbindlich festgelegt werden sollen.

„Zudem sollten die Unikliniken zumindest stichprobenartige Überprüfungen von Transplantationsverfahren durchführen. Bei allem Entsetzen über diese Vorfälle dürfen wir aber nicht die Transplantationsmedizin unter Generalverdacht stellen. Sie rettet Menschenleben und wird mit größtem Engagement und strikter Einhaltung ethischer Maßstäbe in ganz Deutschland praktiziert“, beteuerte Heubisch. Für ihn seien die ganzen Vorfälle eine „Katastrophe“.

Weiterführende Informationen:

Reaktionen auf den Transplantationsskandal in Göttingen und Regensburg: Ruf nach scharfen Konsequenzen

D. BahrDie Ausweitung des Transplantationsskandals löste auch in dieser Woche eine anhaltend große Medienresonanz aus. Dabei meldeten sich unzählige Akteure zu Wort. Bezüglich der Vorfälle an den Transplantationszentren in Göttingen und Regensburg hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) scharfe Konsequenzen gefordert und ein Spitzentreffen mit diversen Organisationen anberaumt.

„Die Vorfälle in Göttingen und Regensburg erschüttern mich zutiefst. Erste Erkenntnisse zeigen, dass in den Transplantationszentren Göttingen und Regensburg Spenderorgane in vielen Fällen nicht nach medizinischer Notwendigkeit und Dringlichkeit vergeben wurden. Sollte das zutreffen, wäre dies gesetzeswidrig und ethisch in höchstem Maße verwerflich“, so Bahr in einer Presseaussendung vom 03.08.12.

Er verwies darauf, dass die Spende, die Entnahme von Organen, die Vermittlungsentscheidung und die Transplantation in Deutschland klar geregelt sind. „Alle: Entnahmekliniken, Transplantationszentren und die hier tätigen Ärzte müssen sich an die Regeln des Transplantationsgesetzes, die Richtlinien der Bundesärztekammer und nicht zuletzt an die ärztliche Berufsordnung halten. Verdachtsfälle oder Regelverstöße müssen an die Überwachungs- und die Prüfkommission gemeldet werden. Ich erwarte, dass hier die betroffenen Transplantationszentren die Kommissionen bei der lückenlosen Aufklärung des Geschehens unterstützen. Die staatlichen Aufsichtsbehörden beider Länder müssen aus den Berichten der Kommissionen Konsequenzen ziehen“, forderte der Bundesgesundheitsminister.

Bundesgesundheitsminister Bahr lädt zu Spitzentreffen am 27. August 2012

Das Bundesministerium für Gesundheit hat nun für den 27. August den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Stiftung Eurotransplant, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, die Bundesärztekammer, die ständige Kommission Organtransplantation sowie die Überwachungs- und Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer zu Gesprächen eingeladen. „Ich erwarte Vorschläge, wie künftig Manipulationen und andere Verstöße besser zu verhindern sind. Neben der lückenlosen Aufklärung der Vorfälle werden wir zusammen über die Konsequenzen beraten. Das sind wir den Menschen auf der Warteliste, den Spendern und ihren Angehörigen schuldig“, so Bahr abschließend.

Zur Aufklärung des Göttinger Organspende-Skandals hat die Unionsfraktion zudem eine Sondersitzung des Bundestags-Gesundheitsausschuss gefordert. „Es gibt klare Kriterien, nach denen Spenderorgane vergeben werden – der Geldbeutel gehört sicher nicht dazu“, sagte Unions-Gesundheitsexperte Jens Spahn der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ am 31. Juli. Um Vertrauen zurückzugewinnen, sollten die Verantwortlichen dem Ausschuss Rede und Antwort stehen. Spahn will dem bericht zufolge sowohl die Deutsche Stiftung Organtransplantation als auch die Bundesärztekammer eingehend zur Transplantations-Praxis befragen.

Transplantationsgesetz erneut auf den Prüfstand stellen

K. VoglerAm 1. August 2012 trat die Reform des Transplantationsgesetzes in Kraft. Dabei soll es auch mehr Transparenz bezüglich der Organspende geben. Die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag Kathrin Vogler von der Linksfraktion forderte vor dem Hintergrund des aktuellen Transplantationsskandals das eben erst geänderte Transplantationsgesetz erneut auf den Prüfstand zu stellen. „Das Ausmaß an Lug und Betrug bei der Organtransplantation ist erschreckend. Darum muss sich der Bundestag umgehend – und zwar in einer öffentlichen Sitzung – erneut mit dem Transplantationsgesetz befassen“, erklärte Vogler in einer Pressemitteilung vom 02.08.12.

„Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, dass es bei der Organspende hundertprozentig korrekt und gerecht zugeht und dass darüber Transparenz hergestellt wird. Deshalb darf die Aufklärung der skandalösen Vorfälle auf keinen Fall hinter verschlossenen Türen erfolgen“, so Vogler. Sie erinnerte daran, dass ihre Fraktion vor einem Vierteljahr eine öffentliche Sachverständigenanhörung im Gesundheitsausschuss zum Transplantationsgesetz gefordert hat. Aber eine ganz große Koalition von CDU/CSU, SPD und FDP habe dies verweigert. Ebenfalls abgelehnt wurden Forderungen der Linksfraktion, den Staat stärker in die Kontrolle der Organspende einzubinden.

„Damals waren es Berichte über Unregelmäßigkeiten bei der Koordinierungsstelle DSO, heute sind es die Transplantationsmediziner, eine Vielzahl an manipulierten Patientenakten und der Verdacht auf Bestechlichkeit, die die Organspende unrühmlich in die Presse bringen. Wenn wir jetzt nicht handeln und sämtliche Regelungen zur Organspende schonungslos auf den Prüfstand stellen, werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht“, so die Abgeordnete der Linken.

Staatliche Verantwortung notwendig

E. BryschAuch der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch forderte eine Überarbeitung des neuen Gesetzes. „Der Organspendeskandal in Göttingen macht deutlich, wo auch dieses Recht seine Grenzen haben wird. Der Gesetzgeber hat kein Steuerungsrecht bei der Frage der Organentnahme und -verteilung. Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU, will jetzt – so in seinem Interview mit dem Morgenmagazin – über staatliche Zuständigkeit nachdenken“, hieß es in einer Presseaussendung vom 30.07.12.

„Wenn Jens Spahn über eine staatliche Hand im Organspendesystem in Deutschland nachdenkt, dann ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Viel zu lange haben sich die Gesundheitspolitiker bei der Frage der Organentnahme und -verteilung auf ein undurchsichtiges, privates System verlassen. Diese staatlich deregulierte Verantwortungslosigkeit muss ein Ende haben“, so Brysch. Damit werde jedem deutlich, dass mit der Transplantationsreform zum 1. August 2012 die eigentlichen Probleme weiterhin ungelöst bleiben. Der Absichtserklärung von Spahn müssten nun auch Taten folgen.

Die Patientenschützer fordern alle Parteien im Bundestag auf, jetzt zügig eine staatliche Organisation ins Leben zu rufen, um damit der Intransparenz der privaten Organisationen des Transplantationssystems ein Ende zu setzen. „Wir brauchen das Vertrauen der Bevölkerung und haben die Verantwortung für die Menschen, die auf ein Spenderorgan warten“, so Brysch abschließend.
 

Weiterführende Informationen:

Presseschau zum Transplantationsskandal in Göttingen und Regensburg

Nachfolgend finden Sie eine Auswahl an Meldungen zum Organspendeskandal in Göttingen und Regensburg und den ergriffenen Maßnahmen diverser Akteure. Diese Zusammenstellung wird gegebenenfalls weiter ergänzt.

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