07.06.14: Tag der Organspende am 7. Juni 2014: Start der neuen Ministeriums-Organspendekampagne 2014, Kritik an Hirntodfeststellung und mangelhafter Aufklärung bei Lebendspende
Anlässlich des Tages der Organspende am 7. Juni 2014, haben das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) am Tag zuvor mal wieder eine gemeinsame Organspendekampagne vorgestellt. Sie steht diesmal unter dem Motto „Ich entscheide. Informiert und aus Verantwortung.“
Die Organspendekampagne 2014 soll laut gemeinsamer Pressemitteilung dazu motivieren, sich über das Thema Organspende zu informieren und die persönliche Entscheidung in einem Organspendeausweis zu dokumentieren. Damit werde an die Kampagne aus dem Vorjahr angeknüpft, die unter dem Motto: „Das trägt man heute: den Organspendeausweis“ stand.
Neben Großflächen-Plakaten und Zeitungsanzeigen werde der im letzten Jahr eingeführte Internetblog unter www.organspende-geschichten.de zu einem Online-Magazin ausgebaut. Dort finden Nutzer Interviews mit den prominenten Kampagnenunterstützern sowie Reportagen von Menschen, für die das Thema Organspende zum Arbeitsalltag gehört. Ergänzend gibt es auch Geschichten von Spendern und Angehörigen. Zudem werden verstärkt Soziale Medien, d.h. Facebook, Twitter und Youtube in die Kampagne eingebunden.
Zum Start der Kampangne erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: „Jede Organspende kann Leben retten. Aber nur der Organspendeausweis schafft Klarheit. Im Organspendeausweis kann die persönliche Entscheidung festgehalten werden. Er gibt den Angehörigen die Gewissheit, in einer schwierigen Situation das Richtige zu tun. Ziel unserer diesjährigen Kampagne ist, möglichst viele Menschen dafür zu gewinnen, einen Organspendeausweis zu tragen.“
Organ- und Gewebespende zunehmend Thema im Familien- und Freundeskreis
Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der BZgA erklärte: „Gespräche zur Organ- und Gewebespende sind zunehmend ein Thema im Familien- und Freundeskreis, wie die jüngsten Ergebnisse einer Repräsentativerhebung der BZgA zeigen. Unterhielten sich im Jahr 2012 noch 59 Prozent der Befragten darüber mit ihren Angehörigen, so sind es ein Jahr später bereits 65 Prozent. Diese positive Entwicklung gilt es weiter zu unterstützen. Das gelingt am besten dadurch, dass wir informieren und Gesprächsanlässe schaffen. Menschen, die gut über die Organ- und Gewebespende informiert sind, entscheiden sich eher und sprechen auch mit ihren Angehörigen darüber.“
Als Paten für die Kampagne konnten das Bundesgesundheitsministerium und die BZgA prominente Unterstützer gewinnen: Unter anderem die Schauspieler Klaus J. Behrendt, Eva Habermann, Elisabeth Lanz und Roy Peter Link, sowie die Moderatoren Sonya Kraus, Markus Lanz und Kamilla Senjo. Des Weiteren den Komiker und Schauspieler Ralf Schmitz, den Olympiasieger im Gewichtheben Matthias Steiner und den Buchautor und Gewinner des diesjährigen Organpatenpreises David Wagner.
Die Hälfte der Deutschen ist „nur mäßig oder schlecht über die gesetzlichen und medizinischen Aspekte der Organspende informiert“
Der Patientenbeauftragte und Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann erinnert in diesem Zusammenhang an eine Anfang dieses Jahres veröffentlichte repräsentative BZgA-Umfrage: Demnach ist die Hälfte der Deutschen „nur mäßig oder schlecht über die gesetzlichen und medizinischen Aspekte der Organspende informiert“.
Darüber hinaus hätten zwar 78 Prozent der Deutschen eine „eher positive Einstellung gegenüber Organspenden“, jedoch nur 28 Prozent tatsächlich einen Organspendeausweis. Laut der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) ist zudem die Zahl der postmortal entnommenen und transplantierten Organe zwischen 2010 und 2013 um mehr als 1.000 auf 3.035 gesunken.
Umso wichtiger sei das Vertrauen in das System. Beides habe unter den Manipulationen bei der Organvergabe an verschiedenen Kliniken gelitten. „Doch mit den inzwischen ergriffenen Reformen sind wir auf einem guten Weg, dieses wieder herzustellen. Es gibt heute deutlich mehr Transparenz, deutlich mehr Informationen und deutlich mehr Kontrollmöglichkeiten. Auch darüber klärt der Tag der Organspende auf“, sagte Laumann.
Tag der Organspende: Kritik an mangelnder Kontrolle bei Hirntod-Feststellungen
Kritiker sehen dies im Hinblick auf die Transparenz und die Aufklärung zum Thema Organspende anders. Anlässlich des „Tag der Organspende“ am 7. Juni kritisierte der Verein Kritische Aufklärung über Organtransplantation (KAO) e.V. in einer Presseerklärung die mangelnde Kontrolle bei Hirntod-Feststellungen und stellt das Hirnversagen als Tod des Menschen grundsätzlich in Frage.
„Wie können unsere Mediziner Patienten für tot erklären, die noch warm und durchblutet sind, die als Schwangere sogar ein Kind austragen können?“, fragt Renate Focke, 1. Vorsitzende von KAO. Seit einer Studie von Truog und Miller, zwei US-Wissenschaftlern (2008) werde die Organexplantation von Transplantationsmedizinern international als „justified killing“ bezeichnet. Denn für die erfolgreiche Verpflanzung von Organen braucht die Transplantationsmedizin bis zuletzt durchblutete Organe von Sterbenden im Hirnversagen.
Um auszuschließen, dass Transplantationsmediziner wegen eines Tötungsdelikts angeklagt werden könnten, wurde der Todeszeitpunkt juristisch vorverlegt auf den Zeitpunkt nach der zweiten vorgeschriebenen Hirntod-Diagnostik. In Deutschland gilt diese Regelung seit Inkrafttreten des Transplantations-Gesetzes 1997, auch festgeschrieben in der Entscheidungslösung, die 2012 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde.
Andere Länder, andere Organspenderegelungen
KAO macht darauf aufmerksam, dass es von Land zu Land unterschiedliche Regelungen und Voraussetzungen zur Organspende gibt, unter anderem auch die Organentnahme nach möglicherweise umkehrbarem Herzstillstand, unterschiedlich vorgeschriebene Wartezeiten zwischen der ersten und zweiten Hirntod-Untersuchung und jeweils andere erforderliche Untersuchungsverfahren. So kann ein Patient in dem einen Land schon legal für tot erklärt werden, während er in dem anderen noch als ein Lebender mit allen Grundrechten gilt.
„Die Praxis der Willkür bei sterbenden Patienten macht es möglich, dass Transplantationsmediziner weitere Grenzen überschreiten. In einem dokumentierten Fall wurde die vorgeschriebene Wartezeit von 12 Stunden zwischen der ersten und zweiten Hirntod-Untersuchung nicht eingehalten. Auch die Einschränkungen auf dem Organspende-Ausweis, z.B. keine Entnahme von Augenhornhaut, Knochen, Sehnen, Haut usw., werden manchmal übergangen“, so Renate Focke.
Ein schwerwiegender Verstoß gegen den Respekt vor Sterbenden im Hirnversagen ist es nach Ansicht der Angehörigeninitiative, wenn die Operation zur Organentnahme ohne die Gabe von Schmerzmitteln und Narkose erfolgt, nur weil die Öffentlichkeit diese Behandlung als Eingeständnis werten könnte, dass der Patient – entgegen der Für-Tot-Erklärung – noch lebt. In einem anderen dokumentierten Fall wurden dem Patienten die Organe entnommen, obwohl im EEG-Protokoll noch Lebenszeichen verzeichnet sind. Die Familie hat laut KAO Anzeige wegen Mordes erstattet.
Tipp: Hirntod-Untersuchung widersprechen
„Wenn der Hirntod festgestellt wurde, gilt dieser Patient juristisch als tot. Angehörige, die sich danach gegen eine Organentnahme aussprechen, müssen bei einer Weiterbehandlung bis zum natürlichen Multi-Organversagen die Kosten für die Behandlung eines „Toten“ tragen, weil ab diesem Zeitpunkt die Versicherungspflicht der Krankenkasse erlischt (dokumentierter Fall). Daher empfehlen wir, in der Patientenverfügung einer Hirntod-Untersuchung zu widersprechen“, so KAO.
Um sicherzugehen, dass man als Patient im Hirnversagen unversehrt sterben darf, raten die Organspendekritiker zu einer Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht, in der eine Spenderkonditionierung, vorbereitende Maßnahmen und auch die Hirntod-Diagnostik untersagt werden. Für den Fall, dass Menschen trotz aller Einwände im Fall ihres festgestellten Hirnversagens Organspender sein wollen, empfehlen sie, eine Narkose und Schmerzmittel bei der Operation zur Organentnahme einzufordern – und den Angehörigen, ihr Recht auf Akteneinsicht wahrzunehmen.
„Unser Rat: Vertrauen Sie nicht auf die Werbung. Holen Sie sich umfassende Informationen in gesunden Zeiten und halten Sie die eigenen Vorstellungen in einer Patientenverfügung fest. Organspende ist keine Bürgerpflicht. Jeder Mensch hat das Recht auf ein beschütztes und begleitetes Sterben. Dafür setzt sich auch die Hospizbewegung ein“, so Focke.
Ein einfacher Schritt zu mehr Ehrlichkeit wäre eine Änderung auf dem Organspendeausweis. Dort müsse statt „…für den Fall, dass nach meinem Tod“ stehen: „…für den Fall, dass bei meinem Hirnversagen“ eine Spende von Organen/ Gewebe in Frage kommt.
Auf seiner Internetseite hält KAO – Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. weitere Hintergrundinformationen und Angehörigenberichte zum Thema Organspende, Transplantation und Hirntod bereit. Umfassende kritische Informationen zur Organspende bietet auch die InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland, mit der KAO zusammenarbeitet, hier auf ihren Seiten.
Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. ist ein Verein, gegründet von Eltern, die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne die Hintergründe zu diesem Zeitpunkt genau genug zu kennen und diese Entscheidung bereut haben.
Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e.V. (IGN) macht auf Probleme und mangelhafte Aufklärung bei Lebendspenden aufmerksam
Kritik an einer mangelhaften Aufklärung bei Organspenden kam auch von der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e.V. im Hinblick auf sogenannte Lebendspenden. Aufgrund der stetig sinkenden postmortalen Organspendebereitschaft liegt der Fokus zum Tag der Organspende darauf, das verlorene Vertrauen der Bevölkerung zurück zu gewinnen. Ausgelöst durch den Mangel an Spendeorganen wird von einigen Transplantationsmedizinern die Ausweitung der Organlebendspende gefordert.
„Bei der Organlebendspende handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff an einem gesunden Menschen ausschließlich zum Wohle eines Anderen. Die öffentliche Darstellung vermittelt, dass speziell die Nierenlebendspende ein harmloses Unterfangen ist und der Akt der Spende an einen nierenkranken Menschen eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Die Realität sieht leider anders aus“, erklärte der Verein in einer Presseaussendung vom 06.06.14.
„Gut ein Drittel der Nierenlebendspender leidet vorübergehend oder dauerhaft an Müdigkeit, Erschöpfung und Gedächtnisprobleme (fatiguartige Symptome). Jeder fünfte Spender entwickelt binnen einen Jahres Bluthochdruck. Weitere Herz- und Kreislauferkrankungen können durch den Nierenverlust entstehen“, so die IGN. Seit Jahren weise die Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e. V. auf diese belegbaren, möglichen Folgen hin. Zwar seien inzwischen einige Ärzte bereit, die hohen Risiken einzuräumen, aber die weiterhin übliche Aufklärung sei dennoch „stark verharmlosend“.
„Bei einer ehrlichen und umfassenden Aufklärung muss es um den Schutz der Gesundheit von Menschen, wie im Artikel 2 (2) des Grundgesetzes festgeschrieben, gehen. Diese Gesundheit ist höher zu bewerten, als die Krankheit des potentiellen Organempfängers und auch höher zu bewerten als politische und wirtschaftliche Interessen. Es sei denn, der potentielle Spender entscheidet sich, umfassend und ehrlich aufgeklärt, sowie verlässlich versicherungsrechtlich abgesichert, für die Spende, um einem ihm emotional nahestehenden Menschen freiwillig und ohne Druck zu helfen“, heißt es weiter.
Formulierung des Gesetzestextes zur Lebendspende zu ungenau
Mit der letzten Novellierung des Transplantationsgesetzes im Sommer 2012 wurde laut einer Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums für Gesundheit vom 25.07.12 „die Absicherung von Lebendspendern umfassend geregelt und entscheidend verbessert. (…) Im Interesse der Spender wurde im Gesetz außerdem eine klare und unzweideutige Abgrenzung der versicherungsrechtlichen Absicherung vorgenommen.“
Tatsächlich aber kritisieren Juristen die Formulierung des Gesetzestextes als zu ungenau. „Erneut besteht Raum für Interpretation, so dass sich beschädigte Nierenlebendspender durch das Dickicht der Versorgungs- und Unfallkassengesetzgebung kämpfen müssen. Die häufig fehlende medizinische Akzeptanz der erlebten Einschränkungen erschwert zudem die für ein erfolgreiches Versorgungsverfahren notwendige Diagnose. Betroffene, kranke Nierenlebendspender erfahren nach wie vor erhebliche Benachteiligungen. Ohne anwaltliche Hilfe ist es derzeit unmöglich, gerechtfertigte Interessen durchzusetzen“, kritisierte die IGN.
Lebendorganspende kein Ersatz für die sinkende Zahl postmortaler Organe
Die Lebendorganspende dürfe kein Ersatz für die sinkende Zahl postmortaler Organe sein. „Sie ist eine Ausnahme. Daher muss eine derzeit diskutierte Ausweitung auf entfernte Freunde oder die Legalisierung der im juristischen Graubereich bereits durchgeführten sogenannten Cross-Over-Spende auch zukünftig ausgeschlossen werden. Nur das innige emotionale Verhältnis zwischen Spender und Empfänger erlaubt es, über die Möglichkeit einer Nierenlebendspende nachzudenken“, fordert der Verein. Nur mit Hilfe einer besseren Dialysequalität oder im Vertrauen auf die medizinische Forschung (Entwicklung von künstlichen Nieren) werde es zukünftig gelingen, kranken Menschen zu helfen, ohne gesunde Menschen nachhaltig zu gefährden.
Auf der Webseite der Interessengemeinschaft Nierenlebendspende e.V. (IGN) gibt es zahlreiches weitere Hintergrundmaterial zur Problematik der Lebendspenden.
Weiterführende Informationen:
- „Wissen, Einstellung und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende“
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2013
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), 92 Seiten, Juni 2014
- 937.000 Euro für Organspende-Aufklärung
Gesundheit/Antwort
Berlin: (hib/PK) Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) kalkuliert nach Angaben der Bundesregierung in diesem Jahr mit einem Budget von rund 937.000 Euro für die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit.
HIB Heute im Bundestag 06.05.14
Anm.: Die Gesamtkosten für die Organspende-Aufklärungsarbeit belaufen sich auf wesentlich höhere Summen. So gibt es aus einem Gesamtbetrag von 43 Millionen Euro, den die Bundesregierung insgesamt allgemein für Prävention und Aufklärung aufwenden möchte, eine weitere Kampagne im Bereich der Organspende; „sie soll in diesem Jahr mit 7,5 Millionen Euro und damit mit noch höheren Mitteln als im letzten Jahr fortgesetzt werden“, erklärte Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe laut Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages zur 30. Sitzung in Berlin, am 10.04.14.
- Themenspecial vom 28.04.14: Neue Stellungnahmen zu Organspende und Hirntod(-Fehldiagnosen), 2 Filmberichte und übersetzter Vortrag von A. Shewmon zu „Hirntod und Organentnahme“