06.08.09: Regierungsunterrichtung zu 10 Jahre Transplantationsgesetz: Mangelnde Organspendebereitschaft – Bericht sieht Akzeptanzprobleme im Hirntodkonzept zur Organentnahme

06.08.09: Regierungsunterrichtung zu 10 Jahre Transplantationsgesetz: Mangelnde Organspendebereitschaft – Bericht sieht Akzeptanzprobleme im Hirntodkonzept zur Organentnahme

Erstmals ist die Zahl der Organspender in Deutschland im vergangenen Jahr nach jahrelanger Zunahme wieder gesunken. Dies geht aus dem von der Bundesregierung als Unterrichtung vorgelegten und jetzt im Internet veröffentlichten „Bericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes“ (Drucksache 16/13740) hervor.

Nachdem die Zahl der postmortalen Organspenden seit 1998 von 1.111 auf 1.313 im Jahr 2007 gestiegen war, ging sie im letzten Jahr dem Bericht zufolge auf 1.198 zurück. Dabei seien 84 Prozent aller Spender mehrere Organe entnommen worden. Seit Verabschiedung des Transplantationsgesetzes sei insgesamt nur bei älteren Organspendern ein deutlicher Zuwachs zu verzeichnen gewesen. Dem gegenüber hätten Ende Dezember 2008 in Deutschland 11.827 Menschen auf den Wartelisten für eine Organtransplantation gestanden. Die Wartelisten seien aber nur ein grober Indikator für den tatsächlichen Organbedarf, heißt es einschränkend.

Der Bericht führt den Rückgang unter anderem darauf zurück, dass das Thema Organspende in der Bevölkerung mit Ängsten besetzt sei und es zudem Akzeptanzprobleme bei der Organentnahme gebe, die auf das Hirntodkonzept zurückzuführen seien. Ein Anlass, die Hirntoddiagnostik in Frage zu stellen, sei jedoch nicht gegeben.

Gemäß Transplantationsgesetz ist die Entnahme von Organen nur zulässig, wenn vor der Entnahme bei der Organspenderin oder dem Organspender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (kurz: Hirntod) nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. „Der Hirntod ist somit eine notwendige Bedingung für die Organentnahme“, heißt es in der Unterrichtung.

Fakten zur Organentnahme

Das Hirntodkonzept ist seit der Einführung vor 40 Jahren und der Verankerung im Transplantationsgesetz in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Kritik gerückt. So kritisiert u.a. der Verein Kritische Aufklärung über Organtransplantation KAO e.V., dass der Hirntod nicht der Tod des Menschen sei, sondern ein unumkehrbarer Prozeß im Sterben, den es zu achten gilt.

„Wer einen Organspendeausweis ausfüllt, sollte wissen: Patienten werden für tot erklärt und als Leiche definiert, wenn bei ihnen ein unumkehrbares Hirnversagen festgestellt wird. Sie sollen tot sein, obwohl sie weiterhin beatmet werden und ihr Herz schlägt. Trotz eindeutiger Lebenszeichen wie Verdauung, Heilen von Wunden, Reflexe, Fieber und trotz der Möglichkeit einer Schwangerschaft, Geburt und sogar Milchbildung wird der Totenschein ausgestellt. Juristischer Todeszeitpunkt ist das Ende der letzten Hirntodfeststellung, obwohl sich am Zustand des Patienten nichts geändert hat. Die Organe werden bei noch schlagendem Herzen und fortgeführter Beatmung herausoperiert. Bei der Entnahmeoperation erhalten die Patienten vielfach muskelentspannende Medikamente. Zur Optimierung des operativen Eingriffs (Entnahme) empfiehlt die DSO die Gabe von Fentanyl, einem Schmerzmittel, das hundertmal stärker ist als ein Morphin“, erläuterte KAO ausführlich die Vorgänge einer Organentnahme anlässlich des „Tages der Organspende“ am 06.06.09.

Auch bei einer internationalen Konferenz in Rom zum Thema „Zeichen des Lebens – ist der Hirntod noch Leben?“ im Februar diesen Jahres äußerten sich Experten kritisch und stellten das Konzept für die Organentnahme in Frage. Ausführlichere Hintergrundinformationen zum Thema Hirntod und Organspende gibt es in zwei Artikeln in der ALfA-Zeitschrift Lebensforum Ausgabe 89 – 1/2009 und 90 – 2/2009 (siehe unten).

Geringe Meldezahlen von Organspendern

Ein weiteres Problem sei dem Bericht zufolge, dass Organspender nur von einem Teil der bundesweit 1.336 Krankenhäuser mit Intensivstationen gemeldet werden, obwohl eine gesetzliche Verpflichtung zur Meldung hirntoter Patienten, die als Spender in Betracht kommen, bestehe. Nur 612 Krankenhäuser, d.h. 46 Prozent, hätten mindestens einen Patienten zur Organspende gemeldet. Krankenhäuser könnten sich der Meldepflicht dadurch entziehen, indem sie keine Hirntoddiagnostik durchführen, heißt es weiter. Daher schlage die deutsche Stiftung Organtransplantation vor, die Krankenhäuser zu verpflichten, bei einem entsprechenden Krankheitsverlauf, d.h. dem Ausfall von Großhirn, Kleinhirn, Hirnstamm, eine Hirntoddiagnostik vorzunehmen.

Dies dürfte die Probleme zur Deckung des tatsächlichen Bedarfs an neuen Organen jedoch nur bedingt lösen. Denn auch sämtliche aufwändigen und kostspieligen Kampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Deutschen Stiftung Organtransplantation DSO haben bisher offensichtlich nicht geholfen, die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Transplantationsmedizin zu beseitigen.

Weiterführende Informationen:

  • PDF Bericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes
    Unterrichtung durch die Bundesregierung
    Deutscher Bundestag, Drucksache 16/13740, 16. Wahlperiode, 30.06.09
    778 Seiten (12,6 Mb) im PDF-Format
     
  • Zahl der Organspender geht deutlich zurück
    Gesundheit/Unterrichtung
    Berlin: (hib/HLE/BOB) Die Zahl der Organspender in Deutschland ist im vergangenen Jahr nach jahrelanger Zunahme erstmals wieder gesunken. Dies geht aus dem von der Bundesregierung als Unterrichtung vorgelegten Bericht zur Situation der Transplantationsmedizin in Deutschland zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes (16/13740) hervor.
    HIB Heute im Bundestag 230/2009 06.08.09

     
  • Transplantationsmedizin: Mängel in der Hirntoddiagnostik
    Auch mit dem seit 1997 gültigen Transplantationsgesetz konnte die Anzahl der Organspenden nicht gesteigert werden. Eine Zehn-Jahres-Bilanz.
    Von Klaus-Peter Görlitzer
    TAZ 21.05.09
     
  • PDF „Hirntod“ und „Organspende“
    Anders als die Frage, ob es sich bei dem Embryo im Mutterleib um einen Menschen handelt, wird die Frage, ob der Hirntod tatsächlich der Tod des Menschen sei, selbst unter Lebensrechtlern heftig diskutiert. Prinzipiell sind drei Antworten denkbar: Der Hirntod ist der Tod des Menschen (Mehrheitsmeinung). Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen (Minderheitenmeinung), und alternativ: Die Frage ist nicht entscheidbar. Mit dem folgenden Beitrag eröffnet LebensForum eine noch (weiter) zu führende Debatte.
    Von Dr. med. Dr. theol. h. c. Maria Overdick-Gulden
    LebensForum Ausgabe 89 – 1/2009 vom März 2009, Zeitschrift der „Aktion Lebensrecht für Alle“ ALfA e.V.
     
  • PDF Zeichen des Lebens
    Der Hirntod ist der Tod des Menschen. Hiervon sind viele Menschen überzeugt. Eine öffentliche Diskussion zu dieser Frage findet nicht statt. Mit der vergangenen Ausgabe hat LebensForum eine Debatte gestartet. Auf den vielbeachteten Überblicksartikel von Dr. med. Maria Overdick-Gulden (siehe unten) folgt nun ein Bericht über eine Tagung in Rom.
    Von Rainer Beckmann
    LebensForum Ausgabe 90 – 2/2009 vom Mai 2009, Zeitschrift der „Aktion Lebensrecht für Alle“ ALfA e.V.
     

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