06.06.10: Zum Tag der Organspende 2010 – Debatte über Widerspruchslösung – Teil 1
Am 05.06.2010 fand unter dem Motto „Richtig, wichtig, lebenswichtig.“ der Tag der Organspende statt. Seit 28 Jahren informieren bundesweit an diesem Tag Selbsthilfeverbände, die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Ministerien, Gesundheitsämter und kirchliche Einrichtungen mit Veranstaltungen und Aktionen über Organspende und werben für eine Entscheidung zu Gunsten einer Organentnahme nach Feststellung des Hirntodes. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation stehen derzeit ca. 12.000 Menschen auf der Warteliste, die ein Organ für eine Transplantation benötigen.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, forderte in einer Presseerklärung vom 4. Juni zur Behebung des Organmangels flächendeckend Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern. Spanien, das Land mit der höchsten Spenderrate in Europa, habe gezeigt, dass diese Transplantationsbeauftragten eine Schlüsselrolle bei der Organspende einnehmen. Dort würden jährlich 34 Organe pro eine Million Menschen gespendet. In Deutschland seien es hingegen nur 14,9.
„Krankenhäuser sind zwar jetzt schon gesetzlich verpflichtet, potenzielle Spender zu melden. Häufig fehlt es dafür aber an Personal. Die Gefahr besteht, dass die Chance auf ein gesundes Spenderorgan vertan wird, obwohl ein Organspendeausweis vorliegt oder Angehörige bereit wären, einer Spende zuzustimmen“, warnte Hoppe. Deshalb habe der 110. Deutsche Ärztetag bereits vor drei Jahren gefordert, Transplantationsbeauftragte flächendeckend in den Kliniken zu etablieren.
Ärztetag fordert Widerspruchslösung
Kurz vor dem diesjährigen „Tag der Organspende“ forderte der 113. Deutsche Ärztetag in Dresden Mitte Mai ohne weitere Diskussion und von den Medien nahezu unbeachtet zudem die Einführung der Widerspruchslösung. Ziel ist es dabei, mehr Organe zur Verfügung zu haben für Menschen, die auf eine Lebenserleichterung oder Lebensverlängerung mit Hilfe eines fremden Organs hoffen (siehe Deutsches Ärzteblatt 2010; 107(20) vom 21.05.10). Die Widerspruchslösung bedeutet, dass jeder, der nicht ausdrücklich zu Lebzeiten widerspricht, zum Organspender wird, falls der Hirntod diagnostiziert wird, z.B. nach einem Unfall. Bei der in Deutschland bislang gültigen Zustimmungslösung muss die schriftliche Einwilligung entweder des Organspenders oder seiner Angehörigen vorliegen.
„Dabei wird verschwiegen, dass in internationalen Fachkreisen die Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod des Menschen längst widerlegt ist“, kritisierte die „Initiative Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. (KAO)“ in einer Pressemitteilung vom 04.06.10. Der Verein, eine Initiative von Eltern, die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne die Hintergründe zu diesem Zeitpunkt genau genug zu kennen, fordert umfassende Aufklärung auch über die anderen Seiten der Transplantationsmedizin.
Informationen über die Bedingungen einer Organentnahme nötig
„Wir brauchen umfassende Informationen über die Bedingungen einer Organentnahme: Wie tot bin ich wirklich, wenn ich beatmet werde, mein Herz noch schlägt, mein Leib warm und durchblutet ist, aber Teile meines Gehirns inaktiv oder unwiederbringlich ausgefallen sind? Wie verändert sich der Umgang mit mir, wenn ich auf der Intensivstation als möglicher Organspender gesehen werde und nicht mehr als möglicherweise sterbender Patient? Wie verändert die Organentnahme den Abschied für meine Angehörigen? Und wie kann ich sichergehen, dass mein Wille, keine Organe spenden zu wollen, respektiert wird“, erklärte Renate Focke, stellvertretende Vorsitzende von KAO.
KAO lehnt daher eine Widerspruchslösung entschieden ab. Die einzige Regelung, die den Willen, die Würde und die Rechte des Menschen im „Hirntod“ wahrt, sei die enge Zustimmungslösung. „Dafür setzen wir uns ein“, so Focke. Um den nach wie vor einseitigen Informationen der internationalen Organ-Beschaffungsorganisationen entgegenzuwirken, betreibt KAO eine eigene Webseite, mit der sie potenzielle Spender auch über die andere Seite der Organtransplantation aufklärt. Umfassende kritische Informationen zum Thema Organspende, Lebendspende, Transplantation und Hirntod finden Sie auch hier auf dem Infoportal der InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland, mit der die Initiative kooperiert.
DSO-Vertreter gegen Widerspruchslösung
Bemerkenswerterweise sprach sich laut einem Bericht im Deutschen Ärzteblatt 2010; 107(22) vom 04.06.10 auch Prof. Dr. med. Günter Kirste, Medizinischer Direktor der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) in Frankfurt am Main, gegen die Widerspruchslösung aus. Eine Neuregelung zugunsten der Widerspruchsregelung fände derzeit vermutlich keine gesellschaftliche Akzeptanz und man habe – im Interesse der 12.000 Patienten auf der Warteliste – keine Zeit für lange politische Debatten, so seine Argumentation.
Auch Elisabeth Scharfenberg und Dr. Harald Terpe, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit, kritisierten die Forderungen nach einer Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz. Die Widerspruchslösung führe nicht automatisch zu mehr Organspenden, wie auch internationale Vergleiche zeigen. In Spanien, von Befürwortern der Widerspruchslösung immer wieder als Musterland angeführt, werde diese faktisch gar nicht praktiziert, so die Abgeordneten.
„Das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger hat für uns – auch über das Lebensende hinaus – einen großen Stellenwert. Wir plädieren daher für die Beibehaltung der erweiterten Zustimmungslösung. Anstatt nach Gesetzesänderungen zu rufen, muss man sich Gedanken über die Optimierung der bestehenden Strukturen machen“, so Scharfenberg und Terpe.
Nachtrag 20.09.10: Neue Vorstöße zur Einführung einer Widerspruchslösung / Zwangserklärungsregelung
Derzeit ist die Debatte zur Einführung einer Widerspruchslösung / Zwangserklärungsregelung in vollem Gang. Mehr dazu im 2. Teil des Themenspecials zur Einführung der Widerspruchsregelung bzw. Zwangserklärungsregelung bei Organspenden.
Weiterführende Informationen:
- Organspende und Ethik: Mehrheit für Widerspruchslösung
Klinkhammer, Gisela; Richter-Kuhlmann, Eva
Mit einer unerwartenden Wendung ging der Ärztetag zu Ende: Die Delegierten votierten ohne Diskussion für eine gesetzliche Neuregelung der Organspende.
Deutsches Ärzteblatt 2010; 107(20) 21.05.10
- Tag der Organspende: „Keine Zeit für lange politische Debatten“
Siegmund-Schultze, Nicola
Zum Tag der Organspende am 5. Juni wollen führende Politiker offenbar das Bewusstsein der Öffentlichkeit stärken, sich mit dem Thema zu befassen.
Deutsches Ärzteblatt 2010; 107(22) 04.06.10
- Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. – KAO
- » Zur Themenrubrik Gesetz zur Entscheidungslösung bei Organspenden
Pressespiegel zum Tag der Organspende 2010
Ergänzend finden Sie in einer Presseschau eine Auswahl an Meldungen zum Tag der Organspende am 05.06.2010