15.10.11, ergänzt am 03.02.12: Schwere Vorwürfe gegen Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation DSO – "Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität"?
Im Zuge der aktuellen Organspendedebatte ist der Vorstand der Deutschen Stiftung Organstransplantation (DSO) in den Fokus massiver Kritik geraten. Die DSO ist bundesweit zuständig für die Koordinierung der Entnahme und Transplantation von Organen.
In einer anonymen Rundmail vom 07.10.11, die laut diverser Berichte in der TAZ, dem Tagesspiegel, dem FAZ.NET Blog Biopolitik und der Ärztezeitung unter anderem an Gesundheitsminister Daniel Bahr und Abgeordnete des Gesundheitsausschusses, Vertreter von Krankenkassen sowie Ärzte in den Transplantationszentren ging, werfen angebliche Mitarbeiter der DSO dem Vorstand „Führungsstil nach Gutsherrenart“, „Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität“, Mobbing, Konzeptlosigkeit und "Verschwendung von Krankenkassengeldern" vor. In dem Schreiben wird dem Vorstand zudem vorgeworfen, damit mit Schuld an den diesjährigen erheblich gesunkenen Organspendezahlen zu sein. Mehr zu den Vorwürfen im Detail und den aktuellen Organspendezahlen in den untenstehenden Artikeln.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation wies die Anschuldigungen am 10. Oktober zunächst lapidar als „aus der Luft gegriffen“ zurück. Er sei aber „bereit, sich mit klar vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen“, nicht jedoch mit anonymen Anschuldigungen.
Stellungnahme des Stiftungsrates der DSO
Unterdessen befasste sich auf Druck von Gesundheitsminister Bahr der Stiftungsrat der DSO in einer Sitzung am 13.10.11 ausführlich mit den im anonymen Schreiben geäußerten Vorwürfen und erklärte in einer Presseaussendung vom 14.10.11: "Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Vorwürfen und dem Rückgang der Organspendezahlen während der letzten 9 Monate war nicht erkennbar. Dennoch nimmt der Stiftungsrat die anonymen Klagen ernst." Obgleich regelmäßige externe Wirtschaftsprüfungen erfolgen, auch im Hinblick auf Beschaffungs-, Dienstreise- und andere Regelungen des Vorstands, habe der Stiftungsrat beschlossen, eine Überprüfung der Vorwürfe gegenüber dem Vorstand durch einen weiteren externen unabhängigen Wirtschaftsprüfer zu veranlassen.
"In mehrstündigen, intensiven Gesprächen mit mehreren Mitarbeitern der Hauptverwaltung der DSO ohne Anwesenheit des Vorstands hat sich der Stiftungsrat darüber hinaus detailliert über die Führungskultur in dem sensiblen Bereich der Organspende informiert. Zur Verbesserung der innerbetrieblichen Kommunikation, sowohl im Bereich der Hauptverwaltung als auch zwischen Hauptverwaltung und den Regionen der DSO strebt der Vorstand einen extern moderierten Prozess an, der baldmöglichst alle Beteiligten zueinander führen soll", heißt es weiter.
Der Stiftungsrat der DSO kündigte an, er werde darüber hinaus die zuständige Stiftungsaufsicht, vertreten durch den Regierungspräsidenten des Regierungspräsidiums Darmstadt bei deren Aufgaben "bestmöglich unterstützen" und "das weitere Vorgehen abstimmen".
Die Diskussion um die DSO dürfte die Organspendebefürworter wenig erfreuen und nicht unbedingt förderlich sein für das Vertrauen in der Bevölkerung. Gleichwohl ist eine Transparenz in diesem sensiblen Bereich dringend notwendig, zumal die Deutsche Stiftung Organstransplantation bislang eine schwer zu kontrollierende Monopolstellung bei der Organspende hat. Mit einer geplanten Änderung des Transplantationsgesetzes könnte sich dieses Monopol aber schon bald ändern.
DSO bereits mehrfach in der Kritik
Erschwerend kommt hinzu, dass die DSO nicht zum erstenmal in die Kritik geraten ist, wenn auch in anderen Angelegenheiten und relativ unbeachtet. Zum Beispiel gab es laut einem Bericht in der Ärztezeitung vom 02.08.2007 eine Diskussion um Honorare für Hirntod-Diagnostik. Weitere kritische Berichte aus den letzten Jahren gibt es ergänzend in einem umfangreichen Dossier zur DSO von "Bioskop – Forum zur Bebachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien e.V.".
Ergänzung vom 03.02.12: Vorwürfe der Manipulation bei Angehörigengesprächen
Anfang Februar wurden Vorwürfe laut, dass manipulative Methoden der Gesprächsführung wie das sogenannte Neurolingustistische Programmieren (NLP) genutzt werden bzw. wurden, um Angehörige von Hirntoten zu einem Einverständnis in eine Organentnahme zu überreden.
Mehr dazu im Themenspecial vom 02.02.12 zur Organspender-Gewinnung: In neun von zehn Fällen entscheiden Angehörige über Organentnahme – Vorwürfe der Manipulation bei Angehörigengesprächen
Zusatzinformationen:
- Einschüchtern, selbstbedienen
Mobbingvorwürfe bei Stiftung Organspende
In einem Brief kritisieren Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organspende ihre Chefs. Viele Mitarbeiter würden eingeschüchtert und in ständiger Angst leben.
von Heike Haarhoff
TAZ 09.10.11
- „Aus der Luft gegriffen“
Transplantationsstiftung zu Vorwürfen
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation weist Vorwürfe der Ineffizienz und des Mobbings zurück. Der Grund für sinkende Spenden sei „ursächlich nicht geklärt“.
TAZ 10.10.11
- Rückläufige Organspenden
Transplantationsstiftung weist Vorwürfe der Ineffizienz und des Mobbings zurück
TAZ 11.10.11
- Anonyme Mitarbeiter und Verlangen nach Transparenz: Whistleblower in der Deutschen Stiftung Organspende?
Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 10.10.11
- Rückgang der Spenderzahl: Schwere Vorwürfe gegen die Stiftung Organtransplantation
Von Rainer Woratschka
Die Chefs der Stiftung sollen für die stark rückläufige Organspenderzahl verantwortlich sein. In einem anonymen Brief werfen ihnen offenbar Mitarbeiter Konzeptlosigkeit und Ressourcenverschwendung vor.
TAGESSPIEGEL 12.10.11
- Anonyme Vorwürfe: Stiftung Organspende unter Druck
Vetternwirtschaft und Verschwendung? Ein anonymer Brief sorgt bei der Stiftung Organspende (DSO) für Unruhe. Jetzt schaltet sich Gesundheitsminister Daniel Bahr ein.
Ärzte Zeitung, 13.10.11
- DSO-Stiftungsrat schaltet Wirtschaftsprüfer ein
Gibt es Korruption bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation? Externe Prüfer sollen es klären.
Ärzte Zeitung online 14.10.11
- Nach Kritik an Organspende-Stiftung: Mitarbeiter massiv unter Druck gesetzt
Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organtransplantation werfen dem Vorstand Vetternwirtschaft und rückläufige Spenderzahlen vor. Jetzt hat sich der Stiftungsrat eingeschaltet.
von Heike Haarhoff
TAZ 16.10.11
- Organspende-Stiftung nach anonymer Kritik: Ein bisschen alarmiert
Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 16.10.11
- Der Betriebsrat der Deutschen Stiftung Organspende stellt klar….
Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 17.10.11
- Fragwürdige Aufklärung bei Transplantationsstiftung
Jetzt schaltet sich der Stiftungsrat ein. MitarbeiterInnen bezweifeln allerdings Erfolg
TAZ 17.10.11
Presseschau zu Vorwürfe gegen Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation DSO
Weitere Artikel, in denen die Diskussion um Vorwürfe gegen den DSO-Vorstand aufgegriffen wurde:
Zahl der Organspenden deutlich gesunken
Bonn – Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist offenbar zuletzt trotz einer breiten öffentlichen Debatte „drastisch gesunken“.
AERZTEBLATT.DE 12.10.11
Schwere Vorwürfe gegenüber der Deutschen Stiftung Organtransplantation
Frankfurt/Main – Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), zuständig für die Koordination der postmortalen Organspende, wird mit schweren Vorwürfen aus den eigenen Reihen konfrontiert:
AERZTEBLATT.DE 17.10.11
Skandal zur Unzeit
„Selbstbedienungsmentalität“ und „Vetternwirtschaft“? Die Deutsche Stiftung Organtransplantation steht in Verdacht geschäftlicher Unregelmäßigkeit
Ulrike Baureithel
DER FREITAG 28.10.11