22.12.11: Neue Organspende-Regelung: Deutsche Hospiz Stiftung stellt 6 zentrale Fragen

22.12.11: Debatte um neue Organspende-Regelung: Deutsche Hospiz Stiftung stellt sechs zentrale Fragen zur Organspende vor

Screenshot 6 Fragen zur Organspende-RegelungVor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um eine neue Organspende-Regelung hat die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung am 21. Dezember 2011 in Berlin mit sechs zentralen Fragen auf die Mängel des Transplantationsgesetzes aufmerksam gemacht. Der Geschäftsführende Vorstand, Eugen Brysch, forderte in einer Pressemitteilung Aufklärung, um Angst und Misstrauen der Bevölkerung zu beenden. „Wir wollen damit auch einen Beitrag leisten, Organspende in Deutschland zu fördern“, betonte Brysch.

Er sieht das Problem des Organmangels unter anderem darin, dass die Krankenhäuser ihrer Meldepflicht nicht nachkämen. Von den 4.000 bekannten Hirntod-Fällen seien im vergangenen Jahr lediglich 1.900 Patienten gemeldet worden, also rund 47 Prozent. In 1.300 Fällen kam es dann tatsächlich zur Transplantation. Dabei sei in über 90 Prozent der Organspenden die Zustimmung durch die Angehörigen erfolgt. Angesichts dieser Zahlen stellen die Patientenschützer die Frage, wie mehr Ausweisträger den Organmangel beheben sollen.

Unterstützt wird die Patientenschutzorganisation vom Verfassungsrechtler Prof. Dr. Wolfram Höfling. In einer juristischen Stellungnahme kritisiert er: „Unzureichend legitimierte Akteure (Bundesärztekammer, Deutsche Stiftung Organtransplantation, Eurotransplant) treffen auf der Grundlage eines inkonsistenten und verfassungsrechtlich mehr als zweifelhaften Todeskonzepts Entscheidungen über Leben und Tod, die nahezu vollständig der rechtsstaatlichen Aufsicht und Kontrolle entzogen sind.“

Kritik am Hirntodkonzept

Weiterhin kritisiert Höfling das Hirntodkonzept der Organspendepraxis. Er gibt zu Bedenken, dass bei einem Ausfall aller Hirnfunktionen der menschliche Organismus in seiner funktionellen Ganzheit nicht komplett zusammenbricht. „Seit langem ist bekannt, dass das Herz eines Hirntoten selbständig schlägt, dass seine Vitalfunktionen und der Stoffwechsel erhalten sind. Hirntote Frauen bringen Kinder zur Welt“, erläutert Höfling. Er wirft die Frage auf, ob ein Hirntoter ein Lebender oder ein Toter ist.

Aus seiner täglichen Arbeit am Patientenschutztelefon weiß Brysch, dass es einen weiteren Klärungsbedarf gibt, wenn es um Patientenverfügungen geht. In den meisten der zehn Millionen Patientenverfügungen begrenzten die Menschen intensivmedizinische Maßnahmen. Diese sind aber für die Organentnahme zwingend notwendig. Nur eine individuell auf die Krankheitssituation formulierte Patientenverfügung könne diesen Widerspruch aufheben. „Die dafür notwendige Beratung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Ein klarer Mangel der Regelungen zur Patientenverfügung“, sagte Brysch.

Ethisches Konzept bei der Herkunft der Spenderorgane

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung verlangt zudem ein ethisches Konzept bei der Herkunft der Spenderorgane. „Werden in Deutschland Organe implantiert, deren Entnahme nach deutschem Recht unzulässig wäre?“ Brysch verweist mit dieser Frage auf unterschiedliche Vorraussetzungen für Organentnahmen in den sieben Eurotransplantländern. Während in Deutschland der Hirntod festgestellt werden muss, reicht in den Niederlanden und Belgien auch der Herz-Kreislaufstillstand aus. In Belgien werden sogar nach aktiver Sterbehilfe Organe entnommen (siehe dazu den untenstehenden Artikel in DIE ZEIT Nr. 43 vom 20.10.2011). In dem einen Fall wären die Menschen nach deutschem Recht nicht tot, im anderen Fall wären sie getötet worden.

Die Patientenschutzorganisation fordert den Bundestag auf, zunächst die EU-Richtlinie über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation vorgesehene menschliche Organe umzusetzen, wobei im Umsetzungsgesetz die Einführung von Transplantationsbeauftragten in allen Kliniken festgeschrieben werden soll. Die grundsätzlichen Fragen zur Novellierung des Transplantationssystems müssten aber zunächst im Bundestag beraten und entschieden werden. „Wir brauchen eine funktionierende rechtsstaatliche Kontrolle, um den Menschen durch Transparenz und Information mehr Sicherheit in Fragen der Organspende zu geben“, forderte Brysch.

Bayerische Justizministerin fordert zügigen Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zur Organspende-Regelung

Derzeit steht nach wie vor der im November für Ende 2011 angekündigte fraktionsübergreifende Gruppenantrag zur Organspenderegelung aus. Demnach planen die Fraktionsspitzen, mit einer sogenannten Entscheidungslösung den Mangel an Organspendern zu beheben. Dabei soll jeder Bundesbürger mindestens einmal im Leben zu dem Thema befragt werden (siehe das Themenspecial vom 25.11.11 unten: Fraktionsübergreifende Einigung – Gruppenantrag zur Organspende wird bis zum Jahresende erarbeitet. Auch ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Organspende wurde noch nicht wie vorgesehen weiter beraten. Eine Umsetzung sollte eigentlich bis Anfang dieses Jahres erfolgen. Bislang steht das Thema laut Bundestagswebseite aber nicht auf den Tagesordnungen der ab 18. Januar beginnenden Plenarsitzungen.

Unterdessen hat sich Bayerns Justizministerin Dr. Beate Merk am 3. Januar für einen zügigen Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zur Organspende-Regelung eingesetzt. „Derzeit warten in Deutschland etwa 12 000 Menschen auf ein Organ – im Schnitt fünf bis sechs Jahre. Alle acht Stunden stirbt einer von ihnen“, so Merk. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir zügig die rechtlichen Grundlagen bekommen, um hier Abhilfe schaffen zu können. Im Bundestag wurde zwar eine politische Einigung erzielt. Die muss nun aber dringend in Gesetzesform gegossen werden, denn es geht um Leben und Tod – und zwar Tag für Tag“, erklärte Merk. Deutschland dürfe nicht länger Schlusslicht bei Organspenden sein.

Weitere Informationen:

» Zur Themenrubrik Gesetz zur Entscheidungslösung bei Organspenden

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