Illustration Debatte um Entscheidungslösung bei Organspenden

09.09.11: Bundesrats-Gesundheitsausschuss für Entscheidungslösung bei Organspende – NRW legt eigenen Vorschlag zur Umsetzung vor

09.09.11: Bundesrats-Gesundheitsausschuss für Entscheidungslösung bei Organspende – NRW legt eigenen Vorschlag zur Umsetzung vor

Bild SitzungssaalIn der Debatte um eine Neuregelung der Organspende hat der Gesundheitsausschuss des Bundesrates am 07.09.11 eine Empfehlung für eine sogenannte Entscheidungs- bzw. Erklärungslösung gefasst.

Damit soll die derzeitige erweiterte Zustimmungslösung in eine Erklärungslösung umgewandelt werden, die jeden Bürger in einem geregelten Verfahren zu einer persönlichen Entscheidung auffordert, einer potenziellen Organspende zuzustimmen, nicht zuzustimmen oder sich nicht zu erklären, heißt es in einer Presserklärung des Saarländischen Gesundheitsministeriums. Bei unterbliebener Erklärung soll eine Organspende dann erlaubt sein, wenn die nächsten Angehörigen zustimmen.

Derzeit gilt in Deutschland die sogenannte „erweiterte Zustimmungslösung“. Das heißt, eine Organentnahme ist nur bei Menschen gestattet, die zu Lebzeiten dem ausdrücklich zugestimmt haben und bei denen der Hirntod festgestellt wurde. Falls keine Einwilligung vorliegt, sollen Angehörige nach dem mutmaßlichen Willen über die Frage einer Organentnahme entscheiden.

Der Beschluss des Bundesratsausschuss spiegelt den auf der Gesundheitsministerkonferenz im Juni gefundenen Konsens der Länder wider. Dabei hatten sich die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer bereits einstimmig dafür ausgesprochen, die derzeit geltende Regelung in eine Erklärungslösung umzuwandeln (siehe News vom 02.07.2011: Gesundheitsministerkonferenz und Sachverständige für Entscheidungslösung bei Organspende). Ein von Nordrhein-Westfalen eingebrachter Vorschlag zur Umsetzung einer Erklärungslösung im Entwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes blieb laut einem Bericht in der Ärztezeitung vom 08.09.11 erfolglos.

Vorschlag von Nordrhein-Westfalen zur Entscheidungslösung bei Organspende

NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens hatte den Vorschlag zur Umsetzung einer Erklärungslösung zuvor in Düsseldorf öffentlich vorgestellt. „Alle Bürgerinnen und Bürger sollten bei Ausstellung oder Änderung von Personalausweisen oder Reisepässen dazu aufgefordert werden, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und anschließend eine Entscheidung treffen, die im Ausweisregister dokumentiert wird“, erklärte die Ministerin dazu in einer Pressemitteilung am 07.09.11.

Durch eine Koppelung der Befragung an die Beantragung und Ausstellung eines Personalausweises bzw. Reisepasses wäre ihrer Ansicht nach sicher gestellt, dass sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens mehrfach mit dem Thema Organspende auseinandersetzt. Die Bundesregierung soll durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bis zum 31. Dezember 2012 diesbezüglich Regelungen zur Erfassung und Speicherung der Erklärung zur Organ- und Gewebespende sowie zur Auskunftserteilung an berechtigte Personen treffen, schlägt NRW im Antrag vor.

„Angesichts der breiten und engagierten gesellschaftlichen und politischen Diskussionen in den vergangenen Monaten liegen inzwischen genügend Vorschläge auf dem Tisch, in welcher Form und zu welchen Anlässen die Bürgerinnen und Bürger sich zur Organspende erklären sollten. Mit dem Antrag aus Nordrhein-Westfalen wollen wir ein Zeichen setzen, wie die Umwandlung der bisherigen Zustimmungslösung in eine Erklärungslösung im Transplantationsrecht konkret aussehen könnte, damit der Bund zügig zu einer neuen Regelung kommt“, erklärte Steffens.

Die Vorschläge aus Nordrhein-Westfalen, die konkrete notwendige Änderungen im Transplantationsgesetz aufzeigen, hatte NRW-Ministerin Steffens auch an die Fraktionsvorsitzenden des Deutschen Bundestages übermittelt. In persönlichen Anschreiben bittet sie darum, sich im Rahmen des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens für die Verankerung der Erklärungslösung im Transplantationsrecht einzusetzen.

Parlamentariergruppe erarbeitet Gesetzentwurf mit Widerspruchslösung bis November 2011

Unterdessen bereitet eine Gruppe von Parlamentariern einen Gesetzentwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes vor, wonach jeder Bürger ein potenzieller Organspender ist, der zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. „Ich will mit einigen Kollegen einen Gesetzentwurf mit einer Widerspruchslösung nach österreichischem Vorbild vorlegen“, sagte der SPD-Abgeordnete Fritz Rudolf Körper gegenüber den Zeitungen der Essener WAZ-Mediengruppe am 03.09.11. Der Entwurf wollen die Parlamentarier spätestens im November in den Bundestag einbringen. Ebenso wichtig wie die Widerspruchlösung sei es, dass zukünftig jedes Krankenhaus einen Transplantationsbeauftragten habe, sagte Körper weiter.

Der Widerspruchsregelung wird inzwischen jedoch kaum eine Chance eingeräumt. Denn der Bundesrat hat bereits einen entsprechenden gemeinsamen Vorstoß von Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und Saarland bei der oben erwähnten Gesundheitsministerkonferenz im Juni mit breiter Mehrheit abgelehnt (siehe oben). Auch bei den Bundestagsabgeordneten dürfte sich kaum eine Mehrheit finden, so die Einschätzung von mehreren Parlamentariern. Gleichwohl ist die Widerspruchlösung damit noch nicht vom Tisch. Und selbst wenn sich bei der Abstimmung im Bundestag keine Mehrheit finden wird, so gibt es auf Bundesratsebene schon jetzt Stimmen – konkret aus dem Saarland – die sagen, man werde langfristig die Widerspruchslösung anstreben.

So erklärte der saarländische Gesundheitsminister und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundesrat Georg Weisweiler in einer Pressemitteilung vom 08.09.11 wörtlich: „Langfristig sieht Minister Weisweiler darüber hinaus die erweiterte Widerspruchslösung als Ziel an.“ Hierbei wird jeder Verstorbene als Organspender in Betracht gezogen – es sei denn, einer Organentnahme wurde ausdrücklich durch die jeweilige Person oder deren Angehörige widersprochen. Falls der Bundestag sich im weiteren Verfahren für die Einführung der Erklärungslösung entscheidet, werde das Saarland „die folgenden Entwicklungen genau beobachten.“

Weisweiler betonte: „Sollte die Erklärungslösung nicht den gewünschten Erfolg bringen, muss erneut über die Einführung einer Widerspruchslösung nachgedacht werden.“ Stellt sich die Frage, ob er bis dahin noch im Amt ist…

Gruppenantrag für eine Entscheidungslösung bis Ende Oktober 2011

Bereits im Laufe des Jahres hatten die Fraktionschefs von Union und SPD, Volker Kauder (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD), angekündigt, einen Gruppenantrag für eine Entscheidungslösung bei der Organspende vorzulegen. Dieser soll den WAZ-Berichten zufolge Ende Oktober in den Bundestag eingebracht werden.

Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr kündigte in seiner Rede am 09.09.11 zum Haushaltsentwurf 2012 an, das Bundeskabinett werde noch in diesem Jahr eine Novelle des Transplantationsgesetzes auf den Weg bringen. Damit soll die Zahl der Organspenden erhöht und der Ablauf der Transplantationen verbessert werden. Der Etat des Gesundheitsministeriums sehe zudem 2,5 Millionen Euro für die Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zur Organspende vor.

Bei der Aufklärungsarbeit ist jedoch zu befürchten, dass wie bisher nicht umfassend über das für eine Organspende entscheidende Hirntodkriterium aufgeklärt wird. Kritische Stimmen, die den Hirntod als den Tod des Menschen Infrage stellen, und damit auch die derzeitige Praxis der Organentnahmen, werden in der politischen Debatte nahezu nicht berücksichtigt.

Ausführliche Informationen zu diesen Aspekten bieten z.B. die Initiative Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. (KAO), die Informationsstelle Transplantation und Organspende oder wir hier auf diesen Seiten.
 

Weiterführende Informationen:

Pressespiegel zum Beschluss des Gesundheitsaussschusses im Bundesrat und NRW-Vorschlag zur Neuregelung der Organspende

Hier finden Sie eine Auswahl an verlinkten Meldungen zum Bundesratsbeschluss und NRW-Gesetzentwurf zur Neuregelung der Organspenden. Diese Presseschau wird weiter ergänzt, sofern sich Neues ergibt.

Haushalt Gesundheit: Organspenden, HIV und Innovation haben Priorität
Mit einem eher kleinen Etat von knapp 483 Millionen Euro setze das Bundesgesundheitsministerium auf Prioritäten wie Organspende, HIV und Innovation, erklärte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr in seiner Rede zum Haushaltsentwurf 2012.
PRESSEMITTEILUNG Bundesregierung 09.09.11

Länder einigen sich im Bundesrat über Organspende
Ärzte Zeitung, 08.09.11

Saarländischer Gesundheitsminister Weisweiler begrüßt Konsens zur Erklärungslösung bei der Organspende
Saarbrücken – Der saarländische Gesundheitsminister und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundesrat Georg Weisweiler begrüßt den heute im Gesundheitsausschuss gefassten Beschluss zum Thema Organspende für eine so genannte Entscheidungs- bzw. Erklärungslösung.
PRESSEMITTEILUNG Ministerium für Gesundheit und Verbraucherschutz Saarland 08.09.11

Organspende: Länder fordern Erklärungslösung
Hessens Staatssekretärin Müller-Klepper: „Aufklärung verstärken – gesetzliche Grundlagen ändern“
PRESSEMITTEILUNG Hessisches Sozialministerium 08.09.11

Organsspende: NRW will Erklärungslösung im Gesetz verankern
Düsseldorf – Das Gesundheitsministerium von Nordrhein-Westfalen hat einen Entwurf zur Änderung des Trans­plantations­gesetzes in den Bundesrat eingebracht, der die sogenannte Erklärungslösung im Gesetz verankern soll.
AERZTEBLATT.DE 07.09.11

Bürger sollen im Passamt über Organspende entscheiden
DER WESTEN 07.09.11

Ministerin Steffens: Erklärungslösung zügig im Transplantationsrecht verankern
Mit dem Ziel, mehr Menschen als potentielle Organspenderinnen und Organspender zu gewinnen, hat Gesundheitsministerin Barbara Steffens heute (7. September 2011) in Düsseldorf einen konkreten Vorschlag zur Umsetzung einer Erklärungslösung vorgestellt.
PRESSEMITTEILUNG Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 07.09.11

Kammer Westfalen-Lippe für Erklärungslösung bei der Organspende
Münster – Für die sogenannte Informations- und Erklärungslösung bei der Organspende hat sich der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst ausgesprochen.
AERZTEBLATT.DE 06.09.11

Organspende: Wettlauf mit dem Tod
Daniel Freudenreich
Berlin. Noch in diesem Jahr soll das Transplantationsgesetz geändert werden, damit künftig in Deutschland mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen. Wie genau die neue Spender-Regelung aussehen soll, ist aber noch offen. Zwei Vorschläge liegen auf dem Tisch.
DER WESTEN 02.09.11

Nach oben