Organspende Aufklärung, Entscheidung pro oder contra

14.01.12: Rückgang der Organspenderzahlen 2011 – Suche nach den Ursachen

14.01.12: Rückgang der Organspenderzahlen 2011 – Suche nach den Ursachen

Screenshot DSO-Bericht Organspenderzahlen 2011Am 12. Januar 2012 hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) ihre aktuellen Zahlen zur Organspende für 2011 vorgelegt. Demnach ist die Zahl derjenigen, denen nach Feststellung des Hirntodes Organe entnommen wurden im Vergleich zum Vorjahr um 7,4 Prozent gesunken und fiel fast auf das Niveau von 2008 zurück.

Konkret konnten 2011 bundesweit 1.200 Organspenden durchgeführt werden. Das sind 96 Menschen weniger als 2010. Die Zahl der Organspender pro eine Million Einwohner ist damit von 15,9 auf 14,7 zurückgegangen, so die DSO. Allein die Region Ost verzeichnete eine Steigerung von 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Folge der bundesweit gesunkenen Organspenderrate ist auch die Zahl der entnommenen Organe von 4.205 auf 3.917 um knapp 7 Prozent zurückgegangen. Konnte in 2010 noch 4.326 Menschen mit einer Transplantation von Organen aus dem Eurotransplant-Verbund geholfen werden, waren es in 2011 mit 4.054 deutlich weniger. Alle Zahlen aus dem Jahr 2011 sind vorläufige Zahlen.

Rückgang Organspenderzahlen 2011: Zunahme von Patientenverfügungen und vorzeitiger Therapieabbruch

„Wir nehmen den Rückgang der Organspende sehr ernst und arbeiten mit den Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken unermüdlich an Möglichkeiten und Wegen, um mehr Menschen mit einer Transplantation zu helfen“, erklärte Prof. Dr. Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der DSO in einer Pressemitteilung. Ein Grund für den Rückgang der Organspenden in 2011 könnte nach Einschätzung der DSO in der Zunahme von Patientenverfügungen und einem vorzeitigen Therapieabbruch liegen. „Immer häufiger scheinen Patientenverfügungen eine Organspende auszuschließen, weil der Patient sich nicht explizit dazu geäußert hat und gleichzeitig intensiv-medizinische Maßnahmen ablehnt“, erläuterte Kirste.

Dieser Zusammenhang zeichne sich in einem ersten Zwischenbericht des Projekts „Inhousekoordination“ ab. Um erstmals verlässliche Daten über das vorhandene Spenderpotenzial in Deutschland zu erhalten, hatte die DSO mit dem Bundesgesundheitsministerium und der Deutschen Krankenhausgesellschaft 2010 das Projekt gestartet. Dabei werden vor allem auch diejenigen Faktoren in den Kliniken analysiert, die langfristig zu einer nachhaltigen Steigerung der Organspende beitragen können.

Den richtigen Weg eingeschlagen?

„Wir sind davon überzeugt, damit den richtigen Weg eingeschlagen zu haben“, bewertete Kirste das Projekt. Jetzt komme es darauf an, „gemeinsam mit den Krankenhäusern die richtigen Maßnahmen konsequent umzusetzen.“ Die Inhousekoordination sieht einen oder mehrere Krankenhausmitarbeiter vor, die dafür sorgen, dass die DSO als Koordinierungsstelle für die Organentnahme über mögliche Organspender informiert wird. Zudem berichten diese Mitarbeiter der Koordinierungsstelle quartalsweise über die Organspendesituation in ihrer Einrichtung. Auf diese Weise soll eine engere Verzahnung zwischen Krankenhäusern und DSO gewährleistet werden.

Insgesamt haben sich an diesem Pilotprojekt, das bis zum 31. Dezember 2011 ging und fortgeführt werden soll, 112 von rund 150 Unikliniken und Krankenhäusern mit neurochirurgischer Intensivstation beteiligt. Als besonders erfreulich wertete Kirste, dass die Zusammenarbeit mit den Projektkrankenhäusern durch den intensiven Austausch gestärkt worden und im Schnitt bessere Ergebnisse erreicht worden seien, als in den Vergleichskrankenhäusern. Zugleich betonte Kirste, dass die Inhousekoordination nicht darauf ausgelegt war, kurzfristig die Organspendezahlen zu steigern. Es handele sich vielmehr „um eine Analyse, auf die dann entsprechende Strukturanpassungen und Maßnahmen folgen“ müssten.

Kritiker hatten in einem Rundschreiben Mitte Oktober letzten Jahres den Nutzen des Projekts und den Vorstand der DSO für ihr Geschäftsgebaren massiv kritisiert. Über den Zwischenbericht zur „Inhousekoordination“ wurde in den Medien bereits Mitte Dezember berichtet. Tenor war dabei, dass laut dem Papier trotz aller Maßnahmen nur geringes Potential für eine Steigerung der Organspendezahlen bestehe (siehe das Themenspecial unten vom 16.12.11: Vertrauliches Gutachten bescheinigt nur geringes Potential zur Erhöhung der Organspenderzahlen). Der Bericht selbst war trotz intensiver Recherchen online leider bislang nicht verfügbar, so dass keine eigene Einschätzung vorgenommen werden konnte.

Hoffnung liegt auf Entscheidungslösung

Auch mit der geplanten Gesetzesänderung zu einer Entscheidungslösung hofft die DSO auf eine Förderung der Organspende. Derzeit arbeiten Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen an einem gemeinsamen Gruppenantrag, wonach jeder Bürger und jede Bürgerin über die Krankenkassen oder bei Ausgabe von Passdokumenten zum Thema Organspende befragt werden und sich dafür oder dagegen entscheiden soll.

Eine aktuelle Umfrage der Barmer GEK und der Bertelsmann Stiftung bestätigte erneut, dass die meisten Menschen bereit sind, ihre Organe „nach dem Tod“ zu spenden. „In einer aktiven und nachdrücklichen Ansprache der Bevölkerung liegt die Chance, die Diskrepanz zwischen in Umfragen geäußerter Zustimmung und dokumentiertem Willen im Organspendeausweis zu schließen“, erklärte Dr. Thomas Beck, Kaufmännischer Vorstand der DSO. Nach Angaben der DSO müssen derzeit in neun von zehn Fällen die Angehörigen über eine Organspende entscheiden, weil der Hirntote seinen Willen nicht dokumentiert hat.

„Wichtig ist, dass die jeweilige Entscheidung des Einzelnen umgesetzt wird. Die Bereitschaft, anderen zu helfen, ist groß. Wir alle haben die Aufgabe, die Entscheidung der Menschen zur Organspende umzusetzen. Aber wir müssen die Menschen auch mit der notwendigen Information versorgen, für sich die richtige Entscheidung zu treffen. Beiden Aufgaben hat sich die DSO verschrieben“, betonten die DSO-Vorstände.

KAO-Infobroschüre „Organspende – die verschwiegene Seite. Angehörige berichten“

Bild der KAO-BroschüreKritiker wie die Initiative „Kritische Aufklärung über Organtransplantation (KAO) e.V.“ werfen der DSO allerdings vor, nur einseitig pro Organspende zu informieren und unliebsame Fakten auszublenden. Der Verein, gegründet von Eltern, die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne die Hintergründe zu diesem Zeitpunkt genau genug zu kennen, macht daher auf die anhaltende Kritik und zunehmenden Zweifel am Hirntod, dem Kriterium für eine Organentnahme, aufmerksam sowie auf die Folgen, die eine Zustimmung zu einer Organentnahme für den „Spender“ und die Angehörigen hat.

Dazu ist seit kurzem u. a. auch eine aktualisierte 48-seitige Infobroschüre „Organspende – die verschwiegene Seite. Angehörige berichten“ als Download auf der KAO-Webseite abrufbar (siehe unten). Die Broschüre kann auch in gedruckter Form bei KAO bestellt werden.

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung widerspricht DSO

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz StiftungDie Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung widersprach unterdessen den von der DSO vermuteten Ursachen für die gesunkenen Zahlen der Organspender. „Es ist falsch zu glauben, dass der Rückgang der Organspenderzahlen allein der Umsetzung von Patientenverfügungen geschuldet ist. Der häufig bestehende Widerspruch zwischen Organspendebereitschaft und einer Patientenverfügung ist nur ein Teil der Wahrheit“, erklärte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, am 12.01.12 in einer Pressemitteilung.

Die Menschen seien verunsichert, es fehle an Aufklärung. „Weder im Bereich der Patientenverfügung noch der Organspende ist eine Beratung gesetzlich vorgeschrieben. Hier besteht Nachbesserungsbedarf. Und das gilt nicht nur für die möglichen Organspender selbst“, so Brysch.

Verunsichert seien auch beteiligte Ärzte und Krankenhäuser. „Den Medizinern ist nicht nur die Rechtslage unklar, es fehlt ihnen auch die Transparenz. Das belegen die Zahlen: Nur 40 Prozent der Hirntodfälle werden gemeldet. Doch solange private Organisationen wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Bundesärztekammer und Eurotransplant in den Niederlanden über Lebenschancen entscheiden, werden die Zahlen weiter rückläufig bleiben“, kritisierte Brysch. Die Verantwortung für die Organspende liege beim Gesetzgeber. „Es kann nicht sein, dass das Transplantationssystem einer Aufsicht und der gerichtlichen Kontrolle fast vollständig entzogen ist.“

Weiterführende Informationen:

Pressesschau zu Organspenderzahlen 2011

Organspende: Wie hoch ist das Potenzial?
Siegmund-Schultze, Nicola
Nach einem Bericht des Deutschen Krankenhausinstituts können klinikinterne Strukturveränderungen in Form der Inhousekoordination die Abläufe bei der Organspende verbessern. Ob sich so langfristig die Zahl der Spender erhöhen lässt, ist unklar.
Deutsches Ärzteblatt 2012; 109(4) 27.01.12

Wiederbelebung ohne Einwilligung – ethisch wenn’s der Organentnahme dient?
Oliver Tolmein
FAZ.NET blog Biopolitik 16.01.12

Organspende im Tiefflug
Hat die ganze Diskussion um das Transplantationgesetz der Organspende geschadet?
Ärzte Zeitung online, 12.01.12

Zahl der Organspenden in Deutschland sinkt
SPIEGEL Online 12.01.12

Zahl der Organspenden 2011 wieder gesunken
Bonn – Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist trotz einer breiten öffentlichen Debatte im vergangenen Jahr deutlich gesunken.
AERZTEBLATT.DE 12.01.12

Ein herber Rückschlag
Zahl der Organspenden 2011 wieder gesunken
DOMRADIO 12.01.12

Rückgang der Organspendezahlen in 2011 zeigt: Neues Gesetz muss zügig kommen
PRESSEMITTEILUNG Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 12.01.12

Patientenverfügungen sind nicht allein für Rückgang der Organspender verantwortlich / Bevölkerung und Ärzte sind verunsichert
Zu den heute veröffentlichten gesunkenen Zahlen der Organspender, erklärt der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in Berlin:
Es ist falsch zu glauben, dass der Rückgang der Organspenderzahlen allein der Umsetzung von Patientenverfügungen geschuldet ist.
PRESSEMITTEILUNG Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung 12.01.12

Diskussion zur Organspende erhält neue Impulse
Zwischenbericht zur Inhousekoordination bestätigt: Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern muss weiter gestärkt werden
PRESSEMITTELUNG Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 12.01.12

Rückgang der Organspenden in 2011 moderater als erwarte
Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) erwartet durch geplante Gesetzesnovellierung verbesserte Strukturen und mehr Aufklärung
PRESSEMITTELUNG Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 12.01.12

Nach oben