06.05.11, ergänzt am 08.06.11: Debatte um Organspenderegelung: Erster Gesetzentwurf vorgelegt – Bayern und Hessen für Widerspruchslösung

06.05.11, ergänzt am 08.06.11: Debatte um Organspenderegelung: Erster Gesetzentwurf vorgelegt – Bayern und Hessen für Widerspruchslösung

In der Debatte um eine Änderung der derzeitigen Organspendereglung liegt mittlerweile ein erster Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Neuregelung des Transplantationsgesetzes vor. Dies berichtete die „Saarbrücker Zeitung“ am 05.05.11.

Um die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen, will die Bundesregierung dem Blatt zufolge die Krankenhäuser offenbar dazu verpflichten, künftig mindestens einen Transplantationsbeauftragten zu bestimmen. Demnach sollen die dann teilweise freigestellten Mediziner das übrige Krankenhauspersonal in Fragen der Organspende unterstützen, insbesondere aber Angehörige von Patienten aufklären, betreuen und für eine Organspende werben. In dem der Zeitung vorliegenden Entwurf werde auch die Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen neu bestimmt.

Noch nicht geregelt ist dem Bericht zufolge, wie die Bürger ihre Spendenbereitschaft künftig kundtun sollen. In der Diskussion ist eine Erklärungsregelung, d. h., dass sich jeder einmal im Leben z.B. bei der Ausgabe des Führerscheins oder Ausweises zur Bereitschaft einer Organspende äußern soll. Dies hat u.a. der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier gefordert.

Eine weitere Option ist die Einführung der Widerspruchsregelung. Dies würde bedeuten, dass künftig jeder Bürger im Falle des festgestellten umstrittenen Hirntodes automatisch zum Organspender erklärt wird, solange er nicht zu Lebzeiten einer Organentnahme widersprochen hat oder Angehörige ein Veto einlegen. Derzeit gilt in Deutschland die sogenannte „erweiterte Zustimmungslösung“. Das heißt, eine Organentnahme ist nur bei Menschen gestattet, die zu Lebzeiten dem ausdrücklich zugestimmt haben und bei denen der Hirntod festgestellt wurde. Sofern keine Einwilligung vorliegt, sollen Angehörige nach dem mutmaßlichen Willen über die Frage einer Organentnahme entscheiden.

Laut Saarbrücker Zeitung soll es am 24.05. und 07.06.11 im Bundestag Anhörungen zur Organspende geben. Die Entscheidung über die Frage, wie die Bürger sich äußern sollen, soll dann später ohne Fraktionszwang erfolgen.

Gesundheitsminister von Bayern und Hessen für Widerspruchsregelung bei Organspenden

In einer Pressemitteilung vom 03.05.11 erklärten der hessische Sozialminister und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz 2011, Stefan Grüttner, und der bayerische Staatsministers für Umwelt und Gesundheit, Markus Söder, sie werden bei der Ende Juni in Wiesbaden stattfindenden Gesundheitsministerkonferenz fordern, die derzeit bestehende erweiterte Zustimmungs- in eine erweiterte Widerspruchslösung umzuwandeln. Dadurch solle Organspende „in Deutschland endlich zum NormaIfall werden“, so die Minister. Söder hatte diese Pläne bereits Ende März angekündigt und findet mit Hessen nun erste Unterstützer.

Die Widerspruchsregelung bestehe in den meisten europäischen Ländern, unter anderem in Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich, Norwegen, Schweden, Italien und Spanien. „Mit der erweiterten Widerspruchslösung käme grundsätzlich jeder am Hirntod Verstorbene als Organspender in Betracht – es sei denn, einer Organentnahme wurde ausdrücklich durch die jeweilige Person oder deren Angehörige widersprochen. Diese Maßnahme soll den zahlreichen betroffenen Patienten auf der Warteliste neue Hoffnung geben“, teilten Grüttner und Söder anlässlich der im Vorfeld der Gesundheitsministerkonferenz in Wiesbaden stattfindenden Amtschefskonferenz mit.

Bundesweit verpflichtend Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern einsetzen

Außerdem fordern Hessen und Bayern den Bund in ihrem Antrag zur Gesundheitsministerkonferenz dazu auf, bundesweit verpflichtend Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern einzusetzen, so wie es offenbar auch im Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums genannt wurde. Um das Vertrauen der Bevölkerung in das System der Organentnahme und -vermittlung zu stärken, bedürfe es darüber hinaus einer staatlichen Überwachung aller daran beteiligten Institutionen.

In Deutschland ist für die Organisation der Organentnahme die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) und für die Vermittlung der Organe Eurotransplant zuständig. Diese werden derzeit lediglich neben dem GKV-Spitzenverband (gesetzliche Krankenkassen) von der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft überwacht. Laut dem Antrag von Hessen und Bayern sollen hier auch Bund und Länder beteiligt werden.

Damit greifen sie die bereits Ende Januar geäußert Kritik der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz-Stiftung auf. Diese hatte beklagt, das derzeitige System sei „intransparent“. Daher forderte die Hospiz-Stiftung eine rechtsstaatliche Aufsicht über die Transplantationspraxis. Zugleich warnte sie vor einer verpflichtenden Erklärung zur Organspende. Dies sei „ein klarer Verstoß gegen die Verfassung“.

Wie die Minister in ihrer Erklärung weiter ausführten, sollen zusätzlich der GKV-Spitzenverband, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft endlich die seit 2004 unverändert geltende Aufwandserstattung für die Krankenhäuser und Transplantationszentren für deren Leistungen bei der Organspende prüfen und gegebenenfalls neu kalkulieren, fordern Grüttner und Söder.

Diese Forderung wurde bereits 2009 durch die Gesundheitsministerkonferenz gestellt. „Neben einer adäquaten Vergütung soll die Leistung der Krankenhäuser in Deutschland im Bereich Organspende transparenter und vergleichbarer werden. Dafür brauchen wir eine verlässliche Datenbasis, um künftig die Qualität der Versorgung nachhaltig sichern zu können“, so die beiden Minister abschließend.

Widerstand gegen die Widerspruchsregelung

Ob die beiden Minister mit ihren Forderungen nach einer Widerspruchslösung Erfolg haben werden ist, fraglich. Denn Medienberichten zufolge regt sich bereits nicht näher genannter Widerstand sowohl aus der FDP als auch anderen Bundesländern. Auch Vertreter der Deutsche Stiftung Organtransplantation sehen die Widerspruchsregelung skeptisch und als eher kontraproduktiv an.

Im Zusammenhang mit der Debatte über eine Neuregelung hat die Initiative KAO – Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. unterdessen eine Resolution verfasst, die von Teilnehmern des 33. Evangelischen Kirchentages in Dresden unterstützt werden kann. Sie wendet sich gegen die Widerspruchsregelung und für offenere Informationen in Zusammenhang mit einer Organspende und dem Hirntod. Mehr dazu unter www.initiative-kao.de/kao-aktuell.html

Ergänzung 08.06.11: Bundeskabinett beschließt Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes

Am 06.06.11 hat das Bundeskabinett den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes beschlossen. Damit kommt die Bundesregierung ihren Verpflichtungen zur Umsetzung der Richtlinie 2010/53/EU über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe in deutsches Recht nach, teilte das Bundesgesundheitsministerium am selben Tag mit.

Die Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum für die Berücksichtigung nationalerTransplantationssysteme ein, so dass die Umsetzung keine grundlegenden Änderungen der Strukturen im Transplantationsgesetz (TPG) erfordert. Innerhalb dieser bewährten Strukturen werden vor allem die Pflichten der am Organspendeprozess Beteiligten, d.h. der Entnahmekrankenhäuser, der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) als Koordinierungsstelle und der ransplantationszentren, auf der Grundlage der in Deutschland geltenden hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards weiter ausgestaltet, so das Ministerium.

Schwerpunkte der Richtlinienumsetzung sind:

  • Die Aufgaben der Entnahmekrankenhäuser im Prozess der postmortalen Organspende werden durch eine eigenständige Vorschrift gesetzlich verankert und dadurch ihre Verantwortung und aktive Mitwirkungspflicht für die Organspende unterstrichen. Dabei wird die bereits bestehende gesetzliche Pflicht der Entnahmekrankenhäuser, den Hirntod aller möglichen Organ-spender zu melden, deutlich hervorgehoben. Für die von der EU-Richtlinie verlangte Registrierung aller Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden, wird an die Regelung der nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser angeknüpft.
     
  • Die Rolle der DSO als Koordinierungsstelle wird gestärkt. Sie nimmt eine wesentliche Funktion in dem nach der EU-Richtlinie vorgesehenen System für Qualität und Sicherheit ein. Dies gilt vor allem für die Festlegung und Durchführung von Verfahrensanweisungen für sämtliche Schritte des Organspendeprozesses. Gleichzeitig wird die Überwachung der Koordinierungsstelle – dies auch im Gleichklang mit der Regelung für die Vermittlungsstelle Eurotransplant – stärker auf gesetzlicher Ebene ausgestaltet.
     
  • Die Entnahmekrankenhäuser werden verpflichtet, mindestens einen Transplantationsbeauftragten zu bestellen. Aufgabe eines Transplantationsbeauftragten ist es, in den jeweiligen Entnahmekrankenhäusern vor Ort als professionell Verantwortlicher für den Organspendeprozess die potenziellen Organspender zu identifizieren, zu melden und dabei wichtige Funktionen als Verbindungsglied des Krankenhauses zu den Transplantationszentren und zur Koordinierungsstelle zu übernehmen. Sie informieren und unterstützen zum Beispiel auch das übrige Krankenhauspersonal in Fragen der Organspende. Oft übernehmen sie auch die Aufklärung und die Betreuung der Angehörigen. Die Verpflichtung wird zur Unterstützung der Kliniken verbunden mit der Regelung einer Teilfinanzierung über das Budget der Koordinierungsstelle.
     
  • Die wesentlichen Grundsätze der Organ- und Spendercharakterisierung, die Qualitäts- und Sicherheitsaspekten dienen, werden festgelegt. Zur Ausgestaltung und Umsetzung der einzelnen Angaben dieser Organ- und Spendercharakterisierung, die im Anhang der Richtlinie enthalten sind, soll eine Rechtsverordnung erlassen werden.

     
  • Zum in der Richtlinie vorgesehenen System der Rückverfolgbarkeit und der Meldung schwerwiegender Zwischenfälle und schwerwiegender unerwünschter Reaktionen sieht das Gesetz den Erlass einer Rechtsverordnung vor. Das Rückverfolgbarkeitssystem soll weiterhin von der DSO geführt werden.

     

Weiterführende Informationen:

Pressespiegel zum Gesetzentwurf zur Neuregelung der Organspende

Ergänzend gibt es eine Presseschau mit einer Auswahl an Meldungen zum Gesetzentwurf zur Neuregelung der Organspende und dem Vorstoß zur Einführung einer Widerspruchsregelung / Zwangserklärungsregelung bei Organspenden.

Nach oben