Organspende und Patientenverfügung

26.03.13: Bundesärztekammer-Arbeitspapier zu Patientenverfügung und Organspendeerklärung veröffentlicht

26.03.13: Bundesärztekammer-Arbeitspapier zu Patientenverfügung und Organspendeerklärung veröffentlicht – Orientierungshilfe für Ärzte in Konfliktsituationen

Nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) muss es kein Widerspruch sein, wenn Menschen in einer Patientenverfügung lebensverlängernde Maßnahmen ausschließen und gleichzeitig ihre Organspendebereitschaft dokumentieren. Dies geht aus einem BÄK-Arbeitspapier zum Verhältnis von Patientenverfügung und Organspendeerklärung hervor, das am 19.03.13 in Berlin vorgestellt wurde.

AngehörigengesprächNach dem Transplantationsgesetz ist eine postmortale Organspende nur zulässig, wenn bei dem Spender der Hirntod festgestellt ist und der Patient oder subsidiär seine Angehörigen die Einwilligung zur Organspende erklärt haben. Hat sich der Patient gleichzeitig gegen lebenserhaltende Maßnahmen ausgesprochen, scheint dies der für die Organentnahme notwendigen Durchführung der Hirntoddiagnostik, die mit intensivmedizinischen Maßnahmen verbunden ist, entgegenzustehen.

Das von einem Expertenkreis aus Medizinern, Juristen und Ethikern erstellte Arbeitspapier der Bundesärztekammer gibt Ärzten Orientierung, wie sie mit diesen Konfliktsituationen umgehen können. So werden verschiedene Fallkonstellationen diskutiert und aus rechtlicher und ethischer Sicht bewertet.

Verschiedene Fallkonstellationen Organspende / Patientenverfügung

Bei einem vermuteten Hirntod halten die Experten den in der Patientenverfügung ausgedrückten Wunsch nach Therapiebegrenzung mit der Bereitschaft zur Organspende und der dafür erforderlichen kurzzeitigen Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen zur Feststellung des Hirntodes für vereinbar. Rechtlich und ethisch sei der Wille des Patienten maßgeblich.

„Patientenverfügung und Organspendeerklärung sind Mittel, den Patientenwillen festzustellen. Der Patient hat beide Erklärungen verfasst. Daher müssen beide bei der Feststellung des Patientenwillens berücksichtigt werden“, heißt es. Eine isolierte Betrachtung der Patientenverfügung ohne Rücksicht auf die Organspendererklärung würde dem Willen des Patienten nicht gerecht werden, meinen die Experten. „Die Organspendeerklärung kann nicht durch die hypothetische Annahme entkräftet werden, dass sich der Patient über die Notwendigkeit der Fortsetzung intensivmedizinischer Maßnahmen nicht im Klaren gewesen sei“, heißt es in dem Papier.

Eine andere Situation sei gegeben, wenn die Ärzte vermuten, dass der Hirntod erst „in wenigen Tagen“ eintreten wird. Eine Fortführung der intensivmedizinischen Maßnahmen würde den Sterbeprozess um den schwer zu prognostizierenden Zeitraum bis zum Eintritt des Hirntodes verlängern. „Daher kann in diesen Fällen nicht schon aus der Organspendeerklärung des Patienten abgeleitet werden, dass er mit der Fortführung der intensivmedizinischen Maßnahmen einverstanden ist. Eine Entscheidung hierüber ist folglich mit dem Patientenvertreter und den Angehörigen des Patienten zu suchen.“

Umgang mit Konfliktsituationen

Als „rechtlich unzulässig und ethisch nicht vertretbar“ werten die Experten die Reanimation eines Patienten, der zwar seine Organspendebereitschaft dokumentiert, einer Reanimation in der Patientenverfügung aber widersprochen hat.

Zum Umgang mit Konfliktsituationen, wenn z.B. keine Organspendeerklärung vorliegt, heißt es in dem Arbeitspapier der Bundesärztekammer: „Liegt keine Organspendeerklärung vor, ist der nächste Angehörige befugt, über die Organspende zu entscheiden. Die Fortführung intensivmedizinischer Maßnahmen hat der Arzt mit dem Patientenvertreter zu besprechen und dessen Einwilligung einzuholen. Sind der Patientenvertreter und der nächste Angehörige verschiedene Personen, so kann dies zu Konflikten führen. Im Falle solcher Konflikte kann eine Ethikberatung hilfreich sein. Wird kein Konsens darüber erzielt, ob die intensivmedizinischen Maßnahmen dem Willen des Patienten entsprechen, ist letztlich das Betreuungsgericht zur Entscheidung berufen (§ 1904 BGB). Bis zur Entscheidung des Gerichts können diese intensivmedizinischen Maßnahmen fortgeführt werden.“

„Wir empfehlen, die Formulierungen in den Mustern für Patientenverfügungen und Organspendeausweisen zu ergänzen. Hierfür haben wir in dem Arbeitspapier entsprechende Textbausteine bereitgestellt“, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. Erforderlich sei auch, nicht nur die Bereitschaft des Patienten zur Organspende im Allgemeinen, sondern auch die Einwilligung in die dafür erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Patientenvertreter und den Angehörigen anzusprechen.

Dilemma wird die Bundesärztekammer nicht lösen können

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz, ehemals Deutsche Hospiz Stiftung, kritisierte unterdessen das Arbeitspapier der Bundesärztekammer. „Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßt die Orientierungshilfe der Bundesärztekammer. Es ist gut, dass der häufige Widerspruch zwischen Patientenverfügung und dem Willen zur Organspende erkannt und diskutiert wird. Das Dilemma wird die Bundesärztekammer aber nicht lösen können. Denn nicht der Arzt verfasst die Patientenverfügung, sondern der Patient selbst. Eine Beratung hat der Gesetzgeber nicht vorgeschrieben“, betonte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, in einer Presseaussendung.

„Die Orientierungshilfe kann auch den vom Gesetzgeber geschaffenen Widerspruch zwischen Angehörigen und Bevollmächtigten nicht lösen. Während der Angehörige Ansprechpartner bei der Organspende ist, setzt der Bevollmächtigte den Willen des Patienten durch. Angehörige und Bevollmächtigte sind nicht immer dieselben Menschen“, so Brysch.

Ärzte für das Leben e.V. sehen weiterreichenden Klärungsbedarf

Logo Ärzte für das Leben e.V.Auch Ärzte für das Leben e.V., eine seit 1991 bestehende nicht-konfessionelle und unabhängige Gemeinschaft von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, die sich für das Leben von der Befruchtung bis zum natürlichen Tod einsetzt, beurteilten das Arbeitspapier kritisch. Sie sehen „weiterreichenden Klärungsbedarf“.

So sehe die Bundesärztekammer bei vermutetem Hirntod zwischen der in einer Patientenverfügung festgelegten Therapiebegrenzung und der Bereitschaft zur Organspende keinen Widerspruch, obwohl für die Feststellung des Hirntodes bis zur vollendeten Organentnahme umfangreiche intensivmedizinische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen notwendig sind.

„Die gesetzlich zulässige Organexplantation geschieht am noch lebenden, wenn auch im Sterben befindlichen Menschen. Die Organentnahme setzt umfangreiche Konditionierungsmaßnahmen wie Blutverflüssigung mit dem Risiko der Hirnblutung, künstliche Beatmung, Apnoetest mit möglichen Erstickungsanfällen und anderem mehr voraus“, erklärten der 1. Vorsitzende der Ärzte für das Leben e.V. (ÄfdL), Prof. Dr. med. Paul Cullen in Münster und der stellvertretende Vorsitzende Dr. Erwin Grom in einer Pressemitteilung vom 22.03.13.

„Unterschiedlich wird eine noch vorhandene Schmerzempfindung des Spenders beurteilt. Deshalb halten wir – wie bei allen ärztlichen Eingriffen – gegenüber jedem Organspendewilligen eine gesetzliche Aufklärungspflicht und deren schriftliche Dokumentation für unumgänglich. Ihr Fehlen ist strafrechtlich zu verfolgen“, so die ÄfdL-Vorsitzenden.

KAO – Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. rät zum Widerspruch gegen Hirntoduntersuchung

Logo KAOScharfe Kritik übte auch der Verein Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. (KAO) und beklagte eine Irreführung der Patienten. KAO ist ein Verein, gegründet von Eltern, die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne die Hintergründe zu diesem Zeitpunkt genau genug zu kennen.

„Die Bundesärztekammer versucht durch ein Arbeitspapier den Patientenwillen so zu verfälschen, dass eine Entnahme von Organen möglich ist, obwohl der Patient lebensverlängernde Maßnahmen in seiner Patientenverfügung ausgeschlossen hat. Dabei versucht man so weit wie möglich diese Verfügung auszuhebeln, indem eine Formulierung vorgeschlagen wird, die es den Ärzten ermöglicht, bis zu mehreren Tagen vor und nach einer Hirntodfeststellung diesen Patientenwillen zu umgehen“, erklärten die Organspendekritiker in einer Pressemitteilung vom 27.03.13.

„Das Ziel der dabei tätigen Arbeitsgruppe war eindeutig: Es geht um die Gewinnung von möglichst vielen Organen, nicht um umfassende Informationen der Patienten. So wird von "intensivmedizinischen Maßnahmen" geredet, die man sowohl vor als auch nach der Feststellung des Hirntodes gestatten soll. Es fehlt ein Hinweis darauf, dass der Patient vor und nach dieser Feststellung im selben Zustand ist – er also zweifellos noch lebt.“

Willen in der Patientenverfügung deutlich ausdrücken

KAO rät allen Menschen, ihren Willen in der Patientenverfügung deutlich auszudrücken. Der Verein weist darauf hin, dass ein Ausschluss lebensverlängernder Maßnahmen und die Bereitschaft zur Organspende sich grundsätzlich widersprechen. Wer eine Entnahme von Organen und Geweben ablehnt, solle das ganz deutlich machen. Zusätzlich – so der Rat des Vereins – sollte man die Durchführung einer Hirntoduntersuchung in der Patientenverfügung ablehnen und einen Bevollmächtigten beauftragen, dieses auch durchzusetzen.

Nach den Worten von Renate Focke aus Bremen, 1. Vorsitzende von KAO, hat das mehrere Vorteile: „Die Patienten können nicht der Qual dieser Untersuchung ausgesetzt werden, die nicht mehr ihnen, sondern nur noch einer möglichen Organentnahme dient. Sie können zudem nicht zu einer juristischen Leiche erklärt werden, was bedeutet, dass die Krankenkasse dann von ihrer Leistungspflicht befreit wäre. Eine Weigerung von Angehörigen, nach der Feststellung des Hirntodes einer Organentnahme zuzustimmen, würde bedeuten, dass das Krankenhaus die Kosten von diesen einfordert – für die Behandlung einer „Leiche“. Gerichtsprozesse zu derartigen Fällen hat es bereits gegeben. Schließlich können die Patienten, wenn es keine Aussicht auf Erholung gibt, im Kreise ihrer Angehörigen sterben, nachdem die Beatmung abgestellt worden ist.“

Auf seiner Internetseite hält KAO – Kritische Aufklärung über Organtransplantation e.V. weitere Hintergrundinformationen und Angehörigenberichte zum Thema Organspende, Transplantation und Hirntod bereit.

Weiterführende Informationen:

Presseartikel zum BÄK-Arbeitspapier Organspende / Patientenverfügung

Patientenverfügung und Organspendeerklärung müssen sich nicht ausschließen
Bundesärztekammer gibt Ärzten Orientierungshilfe in Konfliktsituationen
PRESSEMITTEILUNG Bundesärztekammer 19.03.13

Patientenverfügung und Organspendeerklärung: Orientierung für Konfliktsituationen
Berlin ­ Mit der zunehmenden Bedeutung vorsorglicher Willensbekundungen eines Patienten steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie im klinischen Alltag häufiger mit Organspendeerklärungen zusammentreffen. Das führt dann zu Fragen des Verhältnisses von Willensbekundung und Organspendeerklärung.
AERZTEBLATT.DE 19.03.13

Patientenverfügung und Organspendeerklärung müssen sich nicht ausschließen
5 Fragen zum „Arbeitspapier zum Verhältnis von Patientenverfügung und Organspendeerklärung“ an Alfred Simon, Geschäftsführer der Akademie für Ethik in der Medizin
AERZTEBLATT.DE 19.03.13

Patientenverfügung und Organspendeerklärung: Orientierung für Konfliktsituationen
Klinkhammer, Gisela
Ein von einem Expertenkreis erstelltes Arbeitspapier der Bundesärztekammer hat verschiedene Fallkonstellationen diskutiert und bewertet.
Deutsches Ärzteblatt 2013; 110(12), 22.03.13

Nach oben

Zurück zum Archiv 2013