Organspende Aufklärung, Entscheidung pro oder contra

02.02.12 Organspender-Gewinnung: In neun von zehn Fällen entscheiden Angehörige über Organentnahme – Vorwürfe der Manipulation bei Angehörigengesprächen

02.02.12 Organspender-Gewinnung: In neun von zehn Fällen entscheiden Angehörige über Organentnahme – Vorwürfe der Manipulation bei Angehörigengesprächen

Angehörigengespräch zur Organspender-GewinnungIn neun von zehn Fällen werden die Angehörigen derzeit über eine mögliche Organspende befragt, weil der hirntote Patient seinen Willen nicht dokumentiert hat. Diese aktuellen vorläufigen Zahlen aus dem Jahr 2011 hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am 30. Januar vorgelegt.

Demnach geben laut Umfragen zwar rund 20 Prozent der Deutschen an, einen Organspendeausweis zu besitzen, in der Realität im Krankenhaus sehe dies jedoch anders aus. Nur knapp sieben Prozent haben laut DSO ihre Entscheidung zur Organspende schriftlich, zum Beispiel in einem Organspendeausweis hinterlegt und damit zu Lebzeiten eine Entscheidung getroffen.

Bei 27,6 Prozent war der mündliche Wille ausschlaggebend, bei 42,4 Prozent der mutmaßliche Wille. Bei insgesamt 24,4 Prozent der Fälle, die zu einer Zustimmung oder Ablehnung geführt haben, habe es keinen Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen gegeben. Demnach ist die Ablehnungsrate mit über 40 Prozent am höchsten, wenn die Entscheidung alleine im Ermessen der Angehörigen liegt. „Aus Unsicherheit, die falsche Entscheidung zu treffen, kommt es hier in vier von zehn Fällen zu einer Ablehnung der Organspende“, so die DSO.

„Schwierigste Frage inmitten einer Situation von Trauer und Verzweiflung“

„Diese Bitte um Entscheidung bedeutet für die Angehörigen die schwierigste Frage inmitten einer Situation von Trauer und Verzweiflung. Die Ärzte auf der Intensivstation werden in der Ausbildung meist nicht auf diese Gespräche vorbereitet, dazu kommen Arbeitsüberlastung und Zeitmangel der Mediziner. Die DSO bietet den Ärzten in den Krankenhäusern aus diesem Grund Unterstützung durch einen DSO-Koordinator an“, so die DSO in einer Pressemitteilung zu den aktuellen Zahlen.

Ein gemeinsames Gespräch mit dem behandelnden Arzt und dem DSO-Koordinator erleichtere es den Angehörigen, eine stabile Entscheidung zu treffen. „Denn die Koordinatoren können die Familienmitglieder ausführlich und ohne Zeitdruck beraten und umfassende Informationen zur Organspende und Transplantation geben. Ziel des Gesprächs mit den Angehörigen des Verstorbenen ist es, die Familie bei der Entscheidungsfindung zu begleiten und zu einer stabilen Entscheidung für oder gegen Organspende zu kommen. Jede Entscheidung wird dabei akzeptiert“, so die DSO.

„Es ist unerlässlich, die Koordinatoren und Ärzte gleichermaßen auf diese emotional belastende Situation vorzubereiten – vor allem im Sinne der Angehörigen, die in dieser schwierigen Situation nicht allein gelassen werden dürfen“, erklärte Prof. Dr. Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der DSO. Aus diesem Grund schule die DSO in Zusammenarbeit ihre Koordinatoren zum Thema „Entscheidungsbegleitung für Angehörige (EfA)“ seit 2008 und biete seit 2010 auch bundesweit Krankenhäusern Workshops zu diesem Thema an. Das Programm basiere „auf Erfahrungen aus den USA zur Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten (bringing bad news) und berücksichtigt dabei die spezifische Situation der Angehörigen.“

Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) in der Kritik: Psychotricks zur Organspendergewinnung?

In einem Artikel der Tageszeitung taz vom 29.01.12 wurde der DSO vorgeworfen, manipulative Methoden der Gesprächsführung wie das sogenannte Neurolingustistische Programmieren (NLP) zu nutzen, um Angehörige von Hirntoten zu einem Einverständnis in eine Organentnahme zu überreden. Dazu finanziere die DSO nach taz-Recherchen seit etwa Ende 2006 für ihre Mitarbeiter sowie für Krankenhauspersonal Kommunikationsseminare nach der umstrittenen Methode des NLP. Wie in dem Artikel erläutert wird, zielt NLP auf erfolgsorientierte Kommunikation und wird gern in der Verkaufsförderung eingesetzt und gilt als ungeeignet, weil pietätlos für Gespräche mit trauernden, überforderten Menschen, bei deren Angehörigen der Hirntod diagnostiziert wurde.

Die DSO hielt sich zu den Vorwürfen bislang bedeckt. Zur Frage, wieviel Geld geflossen ist und wieviele DSO-Beschäftigte, Ärzte und Pfleger nach NLP ab 2006 geschult wurden, habe die DSO die Auskunft verweigert, so die taz. Gleichwohl wies die Bereichsleiterin Kommunikation bei der DSO, Birgit Blome, auf Anfrage der katholischen „Tagespost“ die Vorwürfe zurück und erklärte: „Wir arbeiten absolut ergebnisoffen“. Es hätten „keine NLP-Seminare in Bezug auf die Angehörigen-Betreuung stattgefunden“. Der taz-Bericht entspreche „absolut nicht der Wahrheit“, heißt es in dem Tagespost-Bericht „Unmögliche Mission Organspenden“ vom 01.02.12.

Seit längerem steht die DSO wegen verschiedener Vorwürfe in der Kritik. Angebliche Mitarbeiter der DSO warfen dem Vorstand Ende letzten Jahres „Führungsstil nach Gutsherrenart“, „Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsmentalität“, Mobbing, Konzeptlosigkeit und Verschwendung von Krankenkassengeldern vor (siehe das Themenspecial vom 15.10.2011 unten). Die Obleute des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag hatten kürzlich beschlossen, zur Klärung ein Expertengespräch für Ende Februar oder Anfang März einzuberufen, bei dem auch ehemalige DSO-Mitarbeiter gehört werden sollen. Die neuesten Vorwürfe bezüglich der Methoden der Angehörigengespräche wären dabei sicher auch eine Überprüfung wert.

Weiterführende Informationen:

Pressespiegel zur Organspender-Entscheidung

Manipulative Gesprächsmethoden bei Organspendegesprächen?
Die „taz“ berichtete, die „Deutschen Stiftung Organtransplantation“ habe jahrelang umstrittene Kommunikationsseminare unterstützt.
KATH.NET 31.01.12

Organspendebereitschaft zu selten dokumentiert
Frankfurt/Berlin – Der Anteil der Menschen in Deutschland, die ihre Entscheidung für oder gegen eine Organspende schriftlich hinterlegt haben, ist geringer als angenommen.
AERZTEBLATT.DE 30.01.12

Die Politik scheut Verantwortung
Heike Haarhoff über Manipulationen zur Steigerung der Organspenden
TAZ 30.01.12

Organspenden: Solidarität mit Schwerstkranken
Interview mit Prof. Eckhard Nagel
DER WESTEN 30.01.12

Organspende: Die Entscheidung hängt fast immer an den Angehörigen
SUEDDEUTSCHE.DE 30.01.12

„Angehörige bei Entscheidung nicht allein lassen“
Aktuelle Organspendezahlen: In neun von zehn Fällen entscheiden die Angehörigen über Organspende
PRESSEMITTEILUNG Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) 30.01.12

Beratung mit der Moralkeule
Psychotricks bei der Organspende
Die Zahl der Organspender geht zurück. Deshalb nutzt die Stiftung Organtransplantation umstrittene Verkaufsstrategien, um Angehörige von Hirntoten zur Spende zu überreden.von Heike Haarhoff
TAZ 29.01.12

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