Illustration Debatte um Entscheidungslösung bei Organspenden

26.05.12: Gesetz zur Entscheidungslösung bei Organspenden und Änderung des Transplantationsgesetzes

26.05.12, ergänzt am 17.06.12: Bundestag verabschiedet Gesetz zur Entscheidungslösung bei Organspenden und Änderung des Transplantationsgesetzes – Zustimmung des Bundesrates am 15.06.12

Am 25. Mai 2012 hat der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung über zwei Gesetzentwürfe für eine Reform der Organspende-Regelung entschieden. Damit gibt es einige eingreifende Veränderungen im Vergleich zur bisherigen Regelung, von der nahezu alle Bürgerinnen und Bürger schon bald betroffen sein werden.

Einführung der Entscheidungslösung bei Organspenden

Bild zur Abstimmung des Deutschen Bundestages über Gesetz zur Entscheidungslösung bei OrganspendenDer erste und fraktionsübergreifende Gesetzentwurf regelt die Einführung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz. Ziel ist es unter anderem, die Zahl der Organspender in Deutschland zu erhöhen. Zugleich soll die Aufklärung jedoch „ergebnisoffen“ erfolgen. Damit wird die bislang geltende erweiterte Zustimmungslösung in eine Entscheidungslösung umgewandelt.

Das heißt, künftig sollen alle Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren regelmäßig von ihren Krankenkassen per Post angeschrieben, über die Organspende informiert und zur Abgabe einer Erklärung dazu aufgefordert werden. Erstmalig soll dies schon in diesem Jahr geschehen, danach alle zwei bzw. fünf Jahre. Hierbei besteht auch die Möglichkeit die Schreiben zu ignorieren und sich nicht zu entscheiden. In dem Fall sollen im Falle einer möglichen Organentnahme nach festgestelltem Hirntod die Angehörigen befragt werden und ihre Zustimmung oder Ablehnung erklären so wie bisher.

Darüber hinaus sollen die Behörden bei der Ausgabe von amtlichen Ausweisen wie z. B. Pass oder Führerschein Informationen zur Organspende ausgeben. Zudem sollen die technischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für eine Speicherung der Entscheidung zur Organspende auf der elektronischen Gesundheitskarte geschaffen werden. Dabei ist die Speicherung der Angaben für die Versicherten freiwillig. Die technische Umsetzung soll in einem stufenweisen Prozess erfolgen.

Verpflichtende Einführung von Transplantationsbeauftragten und Absicherung der Lebendspende

Mit dem zweiten Regelwerk, einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Transplantationsgesetzes, werden europarechtliche Vorgaben umgesetzt und damit europaweit geltende einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Organtransplantation gesetzlich festgelegt. Gleichzeitig wird die Einführung eines Transplantationsbeauftragten in jedem Entnahmekrankenhaus vorgeschrieben. Außerdem werden Regelungen zur Verbesserung der Absicherung des Lebendorganspenders geschaffen. Künftig hat jeder Lebendspender u. a. einen Anspruch gegen die Krankenkasse des Organempfängers auf Krankenbehandlung, Vor- und Nachbetreuung, Rehabilitation, Fahrtkosten und Krankengeld.

Mit Blick auf die anhaltende Kritik an der als für die Organvermittlung als Koordinierungsstelle tätigen Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) werden der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft als Auftraggeber der DSO gesetzlich verpflichtet, diese kontinuierlich zu überwachen. Zudem muss die DSO im Interesse einer erhöhten Transparenz den Auftraggebern grundsätzliche finanzielle und organisatorische Entscheidungen vorlegen und wird dazu verpflichtet, jährlich ihren Geschäftsbericht zu veröffentlichen.

Des Weiteren wurden im Gesetz die bereits bestehende Überwachungskommission und deren Aufgaben gesetzlich verankert und neben der Koordinierungsstelle auch Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäuser zur Auskunft verpflichtet. Kritiker hatten dies im Vorfeld der Abstimmung als insgesamt nicht weitreichend genug bezeichnet.

Zur Diskussion und Abstimmung standen zudem weitere sechs Drucksachen, die erst zwei Tage vorher eingebracht wurden. Dies waren je eine Beschlussempfehlung des federführenden Gesundheitsausschusses zu den Gesetzentwürfen, zwei Änderungsanträge von Grünen und Linken zum Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung im Hinblick auf den Datenschutz sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, SPD und FDP zum Gesetzentwurf der Bundesregierung und ein Entschließungsantrag der Linksfraktion.

Debatte und Abstimmungsergebnisse

Illustration Organspende-Gesetz EinigungVor der Abstimmung warben noch einmal gut anderthalb Stunden lang Abgeordnete aller Fraktionen in ihren Reden für ihre Positionen. Reden von Abgeordneten, deren Redewunsch nicht berücksichtigt werden konnte, wurden zu Protokoll gegeben.

Angesichts dessen, dass bereits über 400 von insgesamt 620 Abgeordneten den Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung unterzeichnet hatten, herrschte dabei seltene Einigkeit. Gleichwohl gab es im Gegensatz zur ersten Lesung am 22. März (siehe dazu das Themenspecial vom 24.03.12 unten) mehrere kritische Stimmen, auch die Diskussion über den Hirntod wurde erwähnt.

Kritikpunkte waren aber vor allem der Datenschutz in Zusammenhang mit der möglichen Speicherung auf der elektronischen Gesundheitskarte, zu denen es zwei Änderungsanträge gab, und die Organisationsstrukturen und Intransparenz der für die Koordinierung der Organspenden zuständigen Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO).

Forschungsinteressen der Pharmaindustrie steht über dem Datenschutz der Organ- und Gewebespender

Ebenfalls kritisiert wurde von der Opposition eine bislang nicht beachtete Klausel im Gesetzentwurf, die die Forschungsinteressen der Pharmaindustrie über den Datenschutz der Organ- und Gewebespender stellt. Die Klausel erlaubt eine ungenehmigte Weitergabe personenbezogener Organspenderdaten an Dritte, wenn „das öffentliche Interesse an der Durchführung des Forschungsvorhabens die schützenswerten Interessen der betroffenen Person überwiegt und der Forschungszweck nicht auf andere Weise zu erreichen ist“.

Im Anschluss an die Debatte folgte eine relativ schnelle Abstimmung per Handzeichen bzw. durch Aufstehen. Dies ist insofern bemerkenswert und kritikwürdig, da bisher bei früheren biopolitischen Entscheidungen wie z. B. beim Stammzellgesetz, der Regelung der Präimplantationsdiagnostik oder von Spätabtreibungen immer namentlich abgestimmt wurde. Zudem waren bei den Abstimmungen zur Reform der Organspendereglung gegen 11.00 Uhr nur ca. 100 Abgeordnete von 620 Parlamentsmitgliedern anwesend, was nicht gerade von großem Interesse am Thema zeugt.

Zwei Änderungsanträge zum Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung

Als erstes wurde über die beiden Änderungsanträge zum Gesetzentwurf zur Regelung der Entscheidungslösung abgestimmt. Ein Änderungsantrag kam von 23 Abgeordneten der Linksfraktion (Drucksache 17/9775) und einer von 44 Abgeordneten der Grünen (Drucksache 17/9776). Die Linken hatten sich in ihrem Antrag gegen die Speicherung der Organspendeerklärung auf der elektronischen Gesundheitskarte ausgesprochen. Ebenso die Grünen, die die Möglichkeit ausschließen wollten, dass Krankenkassen die Erklärungen zur Organspende auf der elektronischen Gesundheitskarte eintragen oder löschen können, sowie das Erheben und Speichern dieser Daten durch die Krankenkassen selbst.

Die möglichen Lese- und Schreibrechte der Krankenkassen für Inhalte der Organspendeerklärung können nach Auffassung der Grünen das ohnehin bei Teilen der Bevölkerung bestehende Misstrauen gegenüber der Elektronischen Gesundheitskarte verstärken und damit das Anliegen des Gesetzentwurfes insgesamt konterkarieren. Auch die Bundesärztekammer hatte kürzlich gefordert von einer Zugriffsmöglichkeit der Krankenkassen abzusehen.

Der Änderungsantrag der Linken wurde jedoch mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen und einigen Stimmen aus der Fraktion Die Linke gegen viele Stimmen aus der Fraktion Die Linke abgelehnt. Der Änderungsantrag der Grünen wurde ebenfalls mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und jeweils Stimmen aus der Fraktion Die Linke und der Grünen verworfen.

Danach wurde über den überfraktionellen Gesetzentwurf zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz (Drucksache 17/9030) abgestimmt. Dieser wurde in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und der Mehrheit der Fraktion Die Linke und der Grünen bei jeweils einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen aus der Fraktion der Linken und jeweils einer Enthaltung bei den Grünen und der FDP angenommen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Transplantationsgesetzes und Entschließungsanträge

Anschließend stand die Entscheidung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Transplantationsgesetzes (Drucksache 17/7376) in der vom Gesundheitsausschuss geänderten Fassung (Drucksache 17/9773) an. Dieser wurde in zweiter und dritter Lesung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Enthaltung der Grünen und einer Enthaltung aus den Reihen der FDP angenommen.

Ebenfalls angenommen wurde ein Entschließungsantrag von CDU/CSU, SPD und FDP (Drucksache 17/9777), in dem u. a. begleitende Informationskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Aufnahme des Themas Organspende in Erste-Hilfe-Kurse verlangt werden. Die Annahme erfolgte mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linksfraktion bei Enthaltung der Grünen und einer Enthaltung aus den Reihen der FDP.

Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke wurde dagegen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen abgelehnt. In dem Antrag forderten die Linken die Bundesregierung dazu auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen,

„der 1. nach der Aufarbeitung der Vorkommnisse um die DSO verbindliche Verfahrensanweisungen und Kontrollen für die Koordinierungsstellen verankert und die Koordinierungsstelle in der Rechtsform einer Behörde errichtet;
2. verbindliche und transparente, dem wissenschaftlichen Stand entsprechende Richtlinien über die Zuteilungskriterien von Organen, Geweben und Gewebezubereitungen festlegt;
3. hinsichtlich der Hirntodproblematik weitergehende Kriterien nach internationalen Standards definiert und Regelungen zur verpflichtenden apparativen Diagnostik vorschreibt;
4. nach wissenschaftlichen Kriterien geeignete und dem Stand der medizinischen Forschung entsprechende Regelungen und Verordnungen zum Transport von explantierten Organen festlegt;
5. das Verhältnis zwischen Organspendeerklärung und Patientenverfügung rechtlich eindeutig klärt und vorhandene Widersprüche und Konflikte auflöst; 6. eine ergebnisoffene und nicht interessengeleitete Beratung von möglichen Spenderinnen und Spendern und ihrer Angehörigen sicherstellt, die konfliktbezogen gestaltet wird und juristische, ethische und medizinische Aspekte einbezieht."

Das dürfte einigen Abgeordneten wohl doch zu weit gegangen sein.

Ergänzung 17.06.12: Bundesrat stimmt am 15.06.12 beiden Gesetzen zu

Am 15. Juni 2012 hat der Bundesrat das „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ und das „Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“ passieren lassen. Damit hat die Länderkammer endgültig den Weg für eine Neuregelung der Organspende frei gemacht.

Bezüglich dem „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ hatte der Gesundheitsausschuss dem Bundesrat empfohlen, einen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschuss zu stellen, um geringfügige Änderungen durchzusetzen. Hierauf verzichtete die Länderkammer. In einer begleitenden Entschließung fordert der Bundesrat die Bundesregierung jedoch auf, beim Organspendeprozess mehr regionale Flexibilität zu gewährleisten. Die überregionale Koordinierungsstelle zwischen Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäusern müsse ihren Regionalstellen mehr Eigenverantwortlichkeit einräumen, zum Beispiel durch eigene Budget- und Personalverantwortung, heißt es in der Entschließung.

Beide Gesetze werden nun Bundespräsident Joachim Gauck zur Unterschrift vorgelegt. Das erste Gesetz tritt nach seiner Unterzeichnung am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft. Die Regelung zur Entscheidungslösung tritt am ersten Tag des vierten auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft, d. h. voraussichtlich ab 1. November. Innerhalb von zwölf Monaten soll dann erstmals Post der Krankenkassen versendet werden. Es ist wohl nicht davon auszugehen, dass der Bundespräsident seine Unterschrift verweigert. Damit geht die langjährige Debatte zum Thema Organspende zumindest vorläufig nun zu Ende.
 

Stimmen zur Organspende-Bundestagsdebatte: Kritik von Lebensrechtsorganisationen an Entscheidungslösung

Bild PresseIn den Medien wurden die Bundestagsbeschlüsse zur Neuregelung der Organspende recht unterschiedlich, aber meist überwiegend wohlwollend aufgenommen.

Während die einen Zeitungen davon berichteten, was nun alles besser werden würde für die auf ein Organ Wartenden und welche Hoffnungen mit der Neuregelung verknüpft sind, gab es auch zahlreiche kritische Stimmen. Den einen Kommentatoren ging der Beschluss nicht weit genug. Sie plädierten für die Einführung der Widerspruchslösung, d.h. jeder der nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat, wird nach Feststellung des Hirntodes automatisch zum Organspender deklariert.

Die anderen kritisierten die mangelnde Transparenz der für die Organverteilung zuständigen Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sowie den ausgehöhlten Datenschutz. Damit werde das Vertrauen in die Organspende verspielt. Zudem wurde das gesetzgeberische Verfahren kritisiert, insbesondere, dass der Eindruck entstand, die Gesetze sollten im Eilverfahren durchgeschoben werden um das Thema vom Tisch zu bekommen, bevor sich noch mehr Unmut über die DSO und die datenschutzrechtlichen Bedenken sowie die Kritik an der fehlenden Diskussion über den Hirntod als Organentnahmekriterium regt.

Emotionale Werbung gegen mangelnde Transparenz und fehlende parlamentarische Legitimation

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz StiftungKritik kam auch von der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung. „Niemand bezweifelt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit der heutigen Entscheidung zum Transplantationsgesetz nicht etwas Gutes bewirken wollten. Dabei ist es nicht gelungen, die eigenen Ansprüche zu erfüllen“, erklärte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Presseaussendung.

Die Kritik ziele nicht allein darauf, wie oft die Bürger nach ihrer Einstellung zur Organspende gefragt werden. Schließlich könne sich heute schon niemand der Werbung für Organspende entziehen, da die Krankenkassen in ihren Mitgliedszeitungen, die Ärzte in ihren Praxen und die Apotheken in ihren Magazinen sowie Auslagen seit Jahrzehnten aktiv um Organspender werben.

„Unzählige Prominente stellen sich in den Dienst dieser Öffentlichkeitsarbeit. Sicherlich werden mit bezahlter und unbezahlter Werbung mehr als 100 Millionen Euro jährlich ausgegeben. Doch alles, ohne den Anteil der Ausweisträger an den tatsächlichen Organspendern in der Bevölkerung zu erhöhen: Zehn Prozent waren es 1996, heute sind es nicht viel mehr. Diese Fakten hätten das Parlament aufhorchen lassen müssen, denn mehr Werbung wird das zentrale Problem der Bevölkerung nicht lösen können“, ist Brysch überzeugt.

„Mangelnde Transparenz und fehlende parlamentarische Legitimation bei der Vergabe von Lebenschancen können nicht durch emotionale Werbung ausgeglichen werden. Deshalb wäre es an der Zeit gewesen, die staatlich deregulierte Verantwortungslosigkeit abzulegen und die Funktionen der privaten Organisationen wie der Bundesärztekammer, der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der niederländischen Stiftung Eurotransplant unter parlamentarische Kontrolle und Führung zu stellen.“ Dieser Mut, etwas wirklich Gutes zu tun, habe den Befürwortern im Bundestag gefehlt. Damit sei „eine Chance vertan“, eine tragfähige Lösung für das drängende Problem im Transplantationssystem zu finden. „Wir werden in Deutschland feststellen, dass wir so den Menschen auf der Warteliste leider nicht helfen konnten“, so Brysch.

Neue Gesetzeslage kann nur noch mühsam den Anschein von Freiwilligkeit bei der Organspende aufrecht erhalten

BVLEbenfalls scharfe Kritik übte der Bundesverband Lebensrecht (BVL). Der Vorsitzende des BVL, Martin Lohmann erklärte in einer Pressemitteilung: „Das weitreichende Ergebnis, zu dem der Deutsche Bundestag zur Organspende heute ohne gründliche parlamentarische Debatte oder vorherige Anhörung leider gefunden hat, ist mehr als enttäuschend. Hier wird in einer entscheidenden Frage der Würde und der Selbstverantwortung des Menschen eine verhängnisvolle Richtung eingeschlagen. Denn im interessengeleiteten Bemühen zur Bereitschaft von mehr Organspenden verliert sich immer mehr die Achtung vor der Würde des Menschen bis zu seinem natürlichen Lebensende“, so Lohmann.

Der Gesetzgeber überlasse es allein den Ärzten, den Todeszeitpunkt durch die kritisch zu hinterfragende Hirntoddefinition festzulegen. Der Hirntote sei jedoch nicht tot, sondern werde trotz weiterer künstlicher Beatmung und hoher Schmerzmitteldosierung bei der Organentnahme, um unerwünschte Reaktionen zu unterbinden als tot „erklärt“, sei jedoch tatsächlich ein Kranker und Sterbender.

Die neue Gesetzeslage könne nur noch mühsam den Anschein von Freiwilligkeit bei der Organspende aufrecht erhalten. „Denn die Bürger werden nun regelmäßig und nachdrücklich ausgerechnet von ihrer Krankenkasse aufgefordert, ihre Organe doch zum Zeitpunkt X auf jeden Fall zu spenden. Stattdessen hat der Gesetzgeber nunmehr eine verschleierte Zwangsregelung auf den Weg gebracht, die einer ambitionierten Entmündigung durch eine mehr oder weniger offene Druckausübung gleichkommt. Die sonst so hoch gelobte Selbstbestimmung wird faktisch ausgehöhlt und unterlaufen. Das ist keine der unantastbaren Würde des einzelnen entsprechende gerechte Vorgehensweise“, kritisierte der BVL-Vorsitzende. Es sei „erschreckend, dass in Deutschland die Sensibilität für den unbedingten Schutz des Lebens zu verdunsten scheint.“

Drohende Vergesellschaftung der Organspende

CDLAuch die Christdemokraten für das Leben (CDL), eine Lebensrechtsinitiative innerhalb der Union, kritisierten durch die Bundesvorsitzende, Mechthild Löhr, in ihrer Stellungnahme vehement Art und Umfang der so genannten neuen „Entscheidungslösung“.

„Schon länger hat die Gesundheitspolitik es zu ihrem Ziel erklärt, die Zahl der Organspender in Deutschland deutlich zu erhöhen. Nicht einmal die zahlreichen aktuellen Ungereimtheiten und Skandale um die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die hierzulande das Monopol für Organverteilung und Entnahme ausübt, haben den Bundestag davon abgehalten, heute ohne Anhörung kritischer Positionen in zweiter und dritter Lesung Gesetze zur Neuregelung der Organspende durchzudrücken. Die zu beobachtende Skepsis der Bürger gegenüber postmortalen Organentnahmen ist aber nicht grundlos und sogar noch gestiegen“, so Löhr.

Deshalb solle jetzt auf die Bürger staatlicherseits wachsender moralischer Druck ausgeübt werden, ohne sie über den international umstrittenen Hirntod als definitorischer Voraussetzung für eine Organentnahme aufzuklären. „Im Gesetz ist denn auch stets von Organentnahme nach dem Tod die Rede, die Definition des Todes überlässt der Gesetzgeber den Ärzten. Diese ist und bleibt somit in den verschieden EU-Ländern unterschiedlich. Hirntote sind zu diesem Zeitpunkt allerdings eindeutig noch Lebende im Sterbeprozess, die künstlich beatmet werden. Deshalb wird zu Unrecht der Eindruck erweckt, dass man bei der Entnahme von Organen bereits tot sei“, stellte die CDL-Vorsitzende klar.

„unglaubliche Hybris des Staates“

„Der Bundestag hat durch die nunmehr beschlossene generelle und regelmäßige bundesweite Erfassung der Organspendebereitschaft jedes einzelnen Bürgers eine neue Grenze zur Vergesellschaftung überschritten. Er fordert jetzt die Krankenkassen auf, auf der elektronischen Gesundheitskarte die Organspenderfunktion festzuhalten. Auch das regelmäßige Anschreiben aller Bürger, um ihre Organspendebereitschaft zu erfassen und damit Auskunft über eine persönliche Frage auf Leben und Tod zu erhalten, offenbart eine unglaubliche Hybris des Staates“, kritisierte Löhr.

Zwar werde bei der vorgeschlagenen Lösung noch formal das Prinzip der Freiwilligkeit gewahrt, doch übe der Staat mittelbaren moralischen Zwang auf die Bürger aus. Das habe durchaus den „Charakter einer ethischen Nötigung“ und missachte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Besonders bei körperlich oder psychisch schwer erkrankten Menschen könne diese Dauerbefragung zusätzlich äußert negative Konsequenzen haben.

„Eine wirklich sachgerechte und angemessene Aufklärung über die Hirntod-Diagnose würde sicher weiterhin viele Menschen davon abhalten, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen. Verstärkend kommen die jüngste Reihe der Skandale bei der Stiftung Organtransplantation (DSO) und die erheblichen wirtschaftlichen Interessen hinzu, die sich rund um den Organhandel national wie international drehen“, erklärte Löhr. Bei vielen Bürgern gebe es zu Recht ein tiefes Misstrauen, wenn der Staat höchstpersönliche Daten abfragt und speichert.

„Es wird sich jetzt wohl nur noch durch das Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob der Staat überhaupt befugt ist, Daten dieser Art über jeden Bürger permanent zu erheben und durch Dritte verwalten zu lassen. Dass auch dieses wichtige Gesetz heute in 2.und 3. Lesung im Eiltempo und ohne vorherige Anhörung durch eine breite Allparteienkoalition verabschiedet worden ist, wirft zusätzlich ein bedenkliches Licht auf die aktuelle parlamentarische Diskussionskultur unseres Landes“, so die CDL-Vorsitzende abschließend.

Deutsche Bischofskonferenz begrüßt bestehende Freiwilligkeit einer Organspende

DBKVergleichsweise wohlwollend äußerte sich von Seiten der Kirchen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zur beschlossenen Änderung des Transplantationsgesetzes.

„Wir haben bereits im Vorfeld dieser politischen Entscheidung immer wieder deutlich gemacht, welche Grenzen und Kriterien bei diesem sensiblen Thema zu beachten sind: Wenn die Organspende, wie die Kirche formuliert, ‚als Ausdruck großherziger Solidarität‘ gefördert werden soll, dann bedarf es der Freiwilligkeit“, so Zollitsch in einer Pressemitteilung. Die Organspende sei nur dann sittlich annehmbar, wenn der Spender oder die Angehörigen ihre ausdrückliche freie Zustimmung dazu gegeben haben.

„So begrüßen wir, dass die Freiwilligkeit einer Organspende auch weiterhin gewahrt bleibt. Außerdem begrüßen wir, dass die schon lange erhobenen Forderungen, Lebendspender besser abzusichern, mit in die Änderung aufgenommen wurden. Mehr Spender für Organe werden sich nur dann finden lassen, wenn die Menschen davon ausgehen können, dass kein Zwang auf sie ausgeübt wird, und sie in Freiheit ‚großherzige Solidarität‘ üben können“, sagte der DBK Vorsitzende. Von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war leider kein Statement zu finden.

Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) begrüßt Reform des Transplantationsgesetzes als „große Chance“

DSOErleichtert zeigte sich die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Wenig verwunderlich, angesichts der vorherigen Diskussionen über deren Intransparenz. In einer Pressemitteilung vom 25.06.12 begrüßte die DSO die vom Bundestag verabschiedeten Neuregelungen zur Organspende als „wichtigen Meilenstein“. Der Medizinische Vorstand, Prof. Dr. Günter Kirste, betonte, dass dies „der Abschluss einer langen Diskussion“ sei und „gleichzeitig der Aufbruch in eine neue chancenreiche Entwicklung für die Organspende“.

Sowohl in der Umsetzung der EU-Richtlinie als auch in der Einigung auf eine Entscheidungslösung und der flächendeckenden Einführung von Transplantationsbeauftragten sieht die DSO „eine gute Basis, die Organspende und Transplantation in Deutschland auf einen erfolgreichen und stabilen Weg zu bringen“. Wichtig sei jetzt, dass alle beteiligten Organisationen mit aller Anstrengung gemeinsam an diesem Ziel weiterarbeiten, so Kirste. „Wir dürfen nicht mehr länger zusehen, wie drei Menschen täglich sterben, denen mit einer Transplantation hätte geholfen werden können“, so der Mediziner.

Der Schlüssel zu mehr Organspenden liege für die DSO nach wie vor in den Krankenhäusern. Aus diesem Grunde sieht Kirste den wichtigsten Schritt zur Verbesserung der Organspendesituation in der regelhaften Bestellung eines Transplantationsbeauftragten in allen Krankenhäusern mit Intensivstation. Es müsse gewährleistet sein, dass der Wille jedes einzelnen Menschen zur Organspende in den Kliniken auch umgesetzt werde.

Die Entscheidungslösung bewertet die DSO als „ein positives Signal für alle Patientinnen und Patienten auf der Warteliste“. „Man kann niemanden zu einer eindeutigen Entscheidung zwingen, aber man kann jeden Einzelnen auffordern, darüber nachzudenken und eine Erklärung abzugeben. Mit der Entscheidungslösung haben wir eine echte Chance, die Organspendezahlen in Deutschland mittelfristig zu verbessern und zu stabilisieren“, so Kirste. Voraussetzung sei jedoch „eine transparente Information und genügend Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung“. Hierfür setze sich die DSO auch in Zukunft gemeinsam mit der Fürs Leben-Stiftung ein.

Die DSO sei sich „ihrer wichtigen und verantwortungsvollen Aufgabe bewusst, für Sicherheit und Transparenz in der Organspende zu sorgen und gleichzeitig die Menschen in ihrem Entscheidungsprozess zu begleiten“, erklärte der DSO-Vorstand.

Weiterführende Informationen:

Presseschau zur Bundestagsdebatte am 25.05.12 zur Organspenderegelung

Ergänzend haben wir hier eine Presseschau zur Bundestagsdebatte am 25.05.12 zur Organspenderegelung zursammengestellt, die die Debatte wiederspiegelt.

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