30.08.12: Spitzentreffen im Bundesgesundheitsministerium zu Transplantationsskandalen

30.08.12: Spitzentreffen im Bundesgesundheitsministerium zu Transplantationsskandalen verspricht mehr Transparenz und Kontrolle bei Organspenden

Spitzentreffen im Bundesgesundheitsministerium zur OrganspendeVor dem Hintergrund der jüngsten Transplantationsskandale in Göttingen und Regensburg (siehe die Themenspecials unten) hatte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am 27.08.12 zu einem Spitzenvertretergespräch zum Thema Organspende geladen.

Teilnehmer der Gesprächsrunde waren Vertreter der Länder, des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), der Stiftung Eurotransplant, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Bundesärztekammer (BÄK), der ständigen Kommission Organtransplantation sowie die Überwachungs- und Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer. Dabei beschlossen die Akteure ein umfangreiches Maßnahmepaket, mit dem das verloren gegangene Vertrauen in die Organspende wieder hergestellt werden soll.

Verstärkte Kontrollen in den Transplantationszentren

Im Kern sollen unter anderem die Kontrollen in den Transplantationszentren intensiviert und die Prüfungskommission kurzfristig um weitere unabhängige Experten erweitert werden. Um Manipulationen möglichst zu vermeiden, soll in allen Transplantationszentren über die Aufnahme in die Wartelisten und deren Führung eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz unter Gewährleistung eines mindestens Sechsaugenprinzips entscheiden. Dabei ist eine medizinische Fachrichtung einzubeziehen, die keine Verbindung zur Transplantationsmedizin hat und direkt dem ärztlichen Direktor der Klinik untersteht.

Die anlassbezogenen Prüfungen der Prüfungskommission nach Paragraf 12 des Transplantationsgesetzes (TPG) seien bereits intensiviert und eine Task Force eingesetzt worden. Auf Grund der Erkenntnisse aus Göttingen und Regensburg würden zurzeit alle Transplantationszentren auf Auffälligkeiten überprüft. Auch werde die Prüfungskommission zukünftig flächendeckende unangekündigte Stichprobenprüfungen bei allen Transplantationszentren durchführen, versprachen die Akteure.

Transparenzverbesserung und Vermeidung von Fehlanreizen

Des Weiteren soll die Transparenz in Sachen Transplantationen verbessert werden. „Transparenz ist zur Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in alle Prozesse der Organspende und Organtransplantation unabdingbar. Die Auftraggeber werden der Öffentlichkeit die Tätigkeitsberichte der Prüfungs- und der Überwachungskommissionen unter Beachtung des Schutzes personenbezogener Daten und von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen regelmäßig zugänglich machen. Sie werden zukünftig jährlich im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt“, versprachen die Akteure in der gemeinsamen Erklärung.

Die Beteiligten seien sich einig, dass die Richtlinien nach §16 TPG in einem transparenten Verfahren erlassen werden und Öffentlichkeit hergestellt werden muss. Eine Verstärkung der Rechtsaufsicht hierüber durch den Bund werde geprüft. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundesärztekammer wollen bis zum 1. November 2012 bei der Prüfungskommission eine Stelle zur – auch anonymen – Meldung von Auffälligkeiten und Verstößen gegen das Transplantationsrecht in den Krankenhäusern einrichten.

Symbolbild OrganentnahmeAls weitere Maßnahem sollen Fehlanreize wie Sondervereinbarungen über Bonuszahlungen für bestimmte Leistungsmengen in der Transplantationsmedizin vermieden werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft habe sich für die Abschaffung entsprechender finanzieller Anreize ausgesprochen und werde die Anpassung der Musterverträge vornehmen. „Die Krankenhäuser werden zu einer Selbstverpflichtung aufgefordert. Erste Krankenhausträger haben solche Verträge bereits gekündigt“, hieß es.

Konsequenzen bei Regelverstößen und mehr Kontrolle der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO)

Regelverstöße gegen die Vorgaben des Transplantationsgesetzes und der Richtlinien müssen nach Ansicht der Teilnehmer des Treffens Konsequenzen haben. „Je nach der Schwere des Verstoßes reicht das Spektrum von Sanktionsmöglichkeiten über arbeits- und berufsrechtliche Maßnahmen bis hin zu Maßnahmen des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts einschließlich der vorübergehenden Schließung von Transplantationsprogrammen“. Die Maßnahmen sollen nun auf eventuelle Verschärfungen überprüft werden.

Mit Blick auf die Kritik an der Arbeit der für die Organverteilungen zuständigen Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) wurde auch hier Besserung gelobt. „Wir haben die Transparenz und Kontrolle über die DSO am 1. August 2012 bereits verbessert. So hat die DSO grundsätzliche finanzielle und organisatorische Entscheidungen den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Bundesärztekammer unverzüglich vorzulegen. Auch hat die DSO jährlich einen Geschäftsbericht zu veröffentlichen.

In Zukunft werden Bund und Länder neben dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer und der Deutschen Transplantationsgesellschaft im Stiftungsrat der DSO mit Sitz- und Stimmrecht vertreten sein. Hierzu wird der Stiftungsrat sofort Gespräche mit den Ländern aufnehmen“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Zudem sollen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundesärztekammer zusammen mit den Ländern den DSO-Stiftungsrat organisatorisch unterstützen und hierfür eine unabhängige Geschäftsstelle benennen.

Qualitätssicherung und einheitliche Datenerhebung

Unabhängig von den aktuellen Vorfällen soll auch überprüft werden, ob die Qualität der transplantationsmedizinischen Versorgung noch weiter verbessert werden kann. Deshalb werde der für die Ausgestaltung der Qualitätssicherung verantwortliche Gemeinsame Bundesausschuss gebeten, zu prüfen, ob die schon etablierten Verfahren der Qualitätssicherung, die bereits heute die meisten Transplantationen umfassen, ausreichend und geeignet sind, die Qualität zu beurteilen, diese weiterzuentwickeln und die Ergebnisse in den Qualitätsberichten transparent zu machen.

Abschließend hieß es, das Bundesministerium für Gesundheit werde einen Diskussionsprozess über eine einheitliche Datenerhebung für den gesamten Prozessablauf in der Transplantationsmedizin vorantreiben.

Reaktionen auf das Spitzentreffen zu den Transplantationsskandalen

Die Ergebnisse des Spitzentreffens mit Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr zur Organspende löste ein gemischtes Echo aus. In diversen Zeitungs- und Blogkommentaren wurden die Ergebnisse relativ kritisch beurteilt (siehe dazu z.B. die Artikel im FAZ-Net Blog Biopolitik „Der Humor des Bundesgesundheitsministers und die Transplantationsmedizin“ und in der Welt „Beruhigungspille im Organspendeskandal“ unten). Auch von Verbänden und Abgeordneten kam Kritik.

Runder Tisch zur Organspende enttäuschend

E. BryschDer Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch zeigte sich in einer Pressemitteilung enttäuscht über das Ergebnis des Runden Tisches Organspende. „Bahr und die Fraktionen im Deutschen Bundestag kommen an einer Neuregelung des Transplantationsrechtes in Deutschland nicht vorbei. Ohne Beteiligung von kritischen Ärzten, Juristen und Ethikern wird das nicht gelingen. Das heutige Treffen hat jedoch bewiesen: Dazu fehlt bislang jede Bereitschaft. So kann das Vertrauen der Bevölkerung nicht wieder hergestellt werden“, so sein ernüchtertes Fazit.

Brysch fordert daher „ein Ende von Grauzonen und abgeschobener Verantwortung“. „Weder dürfen private Akteure die Organspende in Deutschland organisieren noch über Leben und Tod entscheiden. Zeitpunkt und Inhalt des Gesprächs mit den Angehörigen sind gesetzlich festzulegen. Auch Patienten sollten erfahren können, an welcher Stelle der Warteliste sie stehen. Ebenso ist die Anzahl der Transplantationszentren auf maximal 25 zu reduzieren. Das beschleunigte Verfahren muss Teil eines neuen Transplantationsgesetzes werden und die absolute Ausnahme sein“, bekräftigte Brysch.

Täuschen mit Zahlen

Im Vorfeld des Spitzentreffens hatte am selben Tag die Bundesärztekammer endlich auf ihrer Webseite die Prüfberichte von Allokationsauffälligkeiten bei Transplantationen veröffentlicht. Wie es in einer Presseerklärung dazu heißt, wurden in den Jahren 2000 bis 2011 in Deutschland 50.739 Organtransplantationen an Eurotransplant gemeldet, konkret 43.536 Postmortalspenden und 7.203 Lebendorganspenden.

„In diesem Zeitraum hat die Prüfungskommission, in gemeinsamer Trägerschaft von GKV-Spitzenverband, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundesärztekammer, in 119 ihr zur Kenntnis gebrachten Fällen Allokationsauffälligkeiten überprüft. In 31 Fällen wurden Verstöße unterschiedlichen Schweregrades festgestellt, davon sind bis dato 21 Verstöße weiteren Institutionen zugeleitet worden“. Die Dokumentation der abgeschlossenen Prüfungen kann auf der Internetseite der Bundesärztekammer abgerufen werden.

Ebenso wurde von den zuständigen Stellen beschlossen, den parlamentarischen Verantwortungsträgern alle Jahresberichte von Prüfungs- und Überwachungskommission seit Einsetzung der beiden Kontrollgremien, d.h. von 2001 bis 2011 zur Verfügung zu stellen. Auch diese sind nun online abrufbar. Mit der Veröffentlichung der Jahresberichte soll laut Mitteilung der Bundesärztekammer „die Transparenz der Arbeit der Kontrollgremien noch weiter verbessert und damit dem besonderen Informationsinteresse von Parlament und Öffentlichkeit entsprochen werden“. Bisher waren die Berichte öffentlich nicht zugänglich.

F. U. MontgomeryDer Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, beschwichtigte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk dazu auf die Frage, ob er fest davon ausgehe, dass es sich um Einzelfälle handle, wenn manipuliert werde. „Wir haben 50.000 Fälle in den letzten zehn Jahren in den Kommissionen analysiert, wir haben 119 Auffälligkeiten gefunden und 20 Verstöße gegen die Richtlinien der Verteilung. Da kann man weder von Mafia, noch von großflächigem kriminellem Verhalten sprechen. Wir haben es wirklich mit einem Einzelfall zu tun, und da sind wir uns ziemlich sicher heute“, so Montgomery wörtlich.

Zahlen der Auffälligkeiten nicht bagatellisieren

Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung warnte davor, die Zahlen der Auffälligkeiten zu bagatellisieren. „Zwar stimmt es, dass in den letzten elf Jahren 50.000 Transplantationen vorgenommen wurden, jedoch fand nur in ein bis fünf Prozent der Fälle eine Überprüfung statt. Somit sind bei durchschnittlich 1200 Untersuchungen 121 Auffälligkeiten festgestellt worden. Das sind rund zehn Prozent der Fälle. Bisher schweigt die Prüfungskommission der Bundesärztekammer dazu“, heißt es in der Presseerklärung.

Im Klartext bedeute das, die Zahlen sehen besser aus, als sie in Wahrheit sind. Auch in diversen kurzen Agenturmeldungen sei leider nichts von Stichproben zu lesen sondern nur von absoluten Zahlen. So entstehe für Laien der Eindruck, dass es sich nur um eine geringe Zahl an Auffälligkeiten handelt im Vergleich zur Gesamtzahl der Transplantationen. In Wirklichkeit dürfte die Dunkelziffer erheblich höher liegen.

Flickschusterei statt notwendiger Reformen

Kritik an den Ergebnissen des Treffens kam auch von den Linken. „Bahr will alles weitgehend beim Alten lassen und nur kleine Korrekturen im bestehenden System vornehmen. Es ist zu bezweifeln, dass auf diese Weise das verloren gegangene Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiederhergestellt werden kann“, erklärte Kathrin Vogler, stellvertretende Vorsitzende im Gesundheitsausschuss des Bundestages in einer Pressemitteilung vom 28.08.12.

Besonders „empörend“ sei es, dass Bahr zunächst die bisherigen Akteure des Transplantationsverfahrens einlädt, sich mit ihnen auf ein Maßnahmenbündel einigt und sich danach erst mit den Vertretern der Legislative trifft. „Wer genau die Organisationen und Verbände, unter deren Regie bislang schon die Organspende und auch die Skandale liefen, mit der Ausarbeitung von Lösungen betraut, braucht sich nicht zu wundern, dass keine wirklich durchdringenden Reformen herauskommen. Eine solche Flickschusterei aber wird den Herausforderungen und den Erwartungen Tausender, die dringend ein Spenderorgan brauchen, nicht gerecht“, erklärte Vogler.

Fraktionsspitzen und Fachexperten fordern weitere Maßnahmen

K. VoglerEinen Tag nach dem Spitzentreffen der Verbände unterrichtete Bundesgesundheitsminister Bahr die Fraktionsvorsitzenden und Fachexperten über die Ergebnisse des Gesprächs. Über das Fraktionstreffen berichtete lediglich Kathrin Vogler von den Linken, andere Abgeordnete hielten sich zurück.

„Ich bin vorsichtig optimistisch, dass es bei den Plänen nicht bleibt, die Herr Bahr am Montag mit der Ärztekammer und Verbänden vereinbart hat. Aus mehreren Fraktionen kommt der Ruf nach staatlicher Aufsicht. Es schafft sicherlich mehr Vertrauen, wenn die Koordinierung der Organspende nicht über die DSO läuft, sondern über eine Behörde, die dem Parlament rechenschaftspflichtig ist“, kommentierte Vogler das Fraktionstreffen.

„Wir dürfen nicht über bröckelnden Putz einfach neue Farbe streichen. Das System der Organspende und -vergabe ist zu sehr geschlossen. Darum müssen wir nicht nur die Prüfung und Überwachung des Transplantationssystems verbessern, sondern auch ran an die Koordinierung der Organspende“, so Vogler. Sie sei „sehr erfreut, dass es da vorsichtig positive Signale aus anderen Bundestagsfraktionen“ gebe. „Gemeinsam sollten wir dies im Parlament umsetzen, auch wenn die bisherigen Akteure, also Bundesärztekammer und DSO, und das Gesundheitsministerium sich noch dagegen stemmen“, forderte Vogler.

Wichtig sei, dass sich der Bundestag „schnell und ernsthaft“ damit befasst und sich dabei nicht vom Ministerium oder der Ärztekammer vorschreiben lasse, in welche Richtung sie nachdenken. In zwei Wochen gebe es eine erste Sondersitzung im Gesundheitsausschuss zum Thema Organspendeskandal. „Ich hoffe, dass wir uns dann schnell auf gemeinsame Ziele verabreden und entsprechende Gesetze auf den Weg bringen können. Das muss auf jeden Fall noch vor den nächsten Wahlen erfolgen“, bekräftigte die Abgeordnete der Opposition.

Vor dem Gipfeltreffen von Gesundheitsminister Daniel Bahr mit Vertretern der Transplantationsmedizin hat der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, gesetzliche Änderungen in Aussicht gestellt. „Es ist nun Sache der beteiligten Organisationen an der Organspende, auch der Ärzteschaft, das Vertrauen wiederherzustellen. Falls dazu gesetzliche Änderungen nötig werden, ist meine Fraktion bereit, kurzfristig darüber zu beraten und im Bundestag zu entscheiden“, sagte Steinmeier der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ am 26. August.

Weiterführende Informationen:

Presseschau zum Spitzentreffen zu den Transplantationsskandalen

Ergänzend zu diesem Themenspecial gibt es eine Presseschau mit eine Auswahl an Meldungen zum Spitzentreffen zu den Transplantationsskandalen. Diese Zusammenstellung wird gegebenenfalls weiter ergänzt.

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