Organspende Aufklärung, Entscheidung pro oder contra

02.06.12: Tag der Organspende 2012 – Kritiker fordern umfassende ehrliche Aufklärung statt anhaltender einseitiger Werbung pro Organspende

02.06.12: Tag der Organspende 2012 – Kritiker fordern umfassende ehrliche Aufklärung statt anhaltender einseitiger Werbung pro Organspende

Vergangene Woche hat der Deutsche Bundestag am 25.05.12 die Novellierung des Transplantationsgesetzes verabschiedet. Alle Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren sollen von jetzt ab regelmäßig zu ihrer Haltung zu einer Organentnahme nach festgestellten Hirntod befragt werden. Politik und Transplantationsmedizin versprechen sich von der Einführung der „Entscheidungslösung“ mehr Organe von Patienten im Hirnversagen für Patienten mit Organversagen (siehe dazu unten das Themenspecial vom 26.05.2012).

Bild zur InfotourAm 2. Juni fand zum 30. Mal der bundesweite „Tag der Organspende“ statt. Dabei warben Vereine, Verbände, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mit zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen um potentielle Organspender.

In Münster eröffnete einen Tag zuvor Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr zudem eine deutschlandweite Infotour „Organpaten werden“ der BZgA. Sie will damit nach eigenem bekunden "die Menschen vor allem darin unterstützen, bei diesem sensiblen Thema zu einer persönlichen Entscheidung zu finden und sie auf die zukünftig geltende Entscheidungslösung vorzubereiten

Kritik an einseitiger Werbung statt umfassender Aufklärung

Vor diesem Hintergrund kritisierte der Verein „Kritische Aufklärung über Organtransplantation – KAO e.V.“ die anhaltende einseitige Werbung pro Organspende und fordert stattdessen eine umfassende ehrliche Aufklärung über den Hirntod und die Organentnahme. Der Verein wurde von Eltern gegründet, die ihre verunglückten Kinder zur Organspende freigegeben haben, ohne die Hintergründe zu diesem Zeitpunkt genau genug zu kennen.

Logo KAOIn der Öffentlichkeit wird eine Organspende meist als „Akt der Nächstenliebe“ verkauft. „Das klingt gut. Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt ein anderes Bild: Der „Hirntod“ ist lediglich eine Übereinkunft, um straffrei Organe entnehmen zu können. In der internationalen Diskussion wird er schon länger nicht mehr als der Tod des Menschen angesehen, sondern als eine Phase im Sterbeprozess. In der öffentlichen Debatte in Deutschland scheinen diese Erkenntnisse aber nicht erwünscht zu sein“, erklärte Renate Focke, 1. Vorsitzende von KAO in einer Presseaussendung vom 1. Juni.

„Man verschweigt den Menschen, dass die Hirntoddiagnostik ohne Einwilligung des Patienten vorgenommen wird, dass diese Untersuchung einem Patienten starke Schmerzen zufügt und dieser auf ein geschütztes Sterben und Sterbebegleitung durch seine Familie verzichten muss. Stattdessen wird er durch Medikamente ruhiggestellt, nach dem Aufschneiden des Körpers weiterhin beatmet und stirbt bei Entnahme der Organe. Man verschweigt uns, dass in der Schweiz diese „Toten“ bei der Organentnahme eine Vollnarkose erhalten“, kritisierte Focke.

Lebensrettung und Lebensverlängerung der einen auf Kosten der anderen

„Politik und Transplantationsmedizin versprechen demnach Lebensrettung und Lebensverlängerung der einen auf Kosten der anderen. Organempfänger, Patienten auf der Warteliste und Angehörige von Organspendern, die im Nachhinein ihre stellvertretende Zustimmung zur Organentnahme bereuen, werden gegeneinander ausgespielt“, so Focke. Es gehe in der Transplantationsmedizin auch um Interessen der Pharmaindustrie, die mit Medikamenten gegen die Organabstoßung viel Geld verdiene. „In der Werbung für Organspende werden gezielt Kinder und Jugendliche angesprochen. Aber darf jemand, der noch nicht wahlberechtigt ist, eine so weit reichende Entscheidung wie die zur Organ-„Spende“ treffen? Wie können wir Bürgerinnen und Bürger den Politikern und Medizinern noch vertrauen, wenn wir in einer so elementaren Frage von Leben, Sterben und Tod irregeführt werden?“, fragt die KAO-Vorsitzende.

Um den einseitigen Informationen der Transplantationsmedizin und Organisationen wie der Deutschen Stiftung Organtransplantation und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung entgegenzuwirken, betreibt KAO unter www.initiative-kao.de eine eigene Webseite, mit der der Verein potenzielle Organspender über die andere Seite der Organtransplantation aufklärt. Umfassende kritische Informationen zum Thema Organspende, Lebendspende, Transplantation und Hirntod bietet auch die InteressenGemeinschaft Kritische Bioethik Deutschland, mit der KAO zusammenarbeitet, hier auf diesen Seiten.

Bundesärztekammer will Thema Organspende stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft rücken

Bild MontgomeryDer Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Frank Ulrich Montgomery, forderte dagegen anlässlich des Tages der Organspende „dieses lebenswichtige Thema“ noch stärker in das Bewusstsein unserer Gesellschaft zu rücken, um die Bereitschaft zur Organspende zu steigern. „Wir müssen die Menschen aktiv über die Organspende informieren, Vorurteile abbauen und sie davon überzeugen, dass sie nach ihrem Tod anderen Menschen Leben schenken können“, so Montgomery in einer Presseaussendung.

Der BÄK-Präsident begrüßte den Beschluss des Bundestags für die Entscheidungslösung. „Angesichts des großen Bedarfs an Spenderorganen ist es unerlässlich, dass eine Erklärung zur Organspende regelmäßig nachgefragt wird.“ Mit einem Organspende-Ausweis könne man nicht nur anderen helfen, sondern nehme auch seinen Angehörigen eine schwierige Entscheidung ab, die sie ansonsten alleine treffen müssten. Montgomery wies auf die Notwendigkeit hin, dass sich die Bürger für oder gegen eine Organspende frei entscheiden können. Zugleich forderte er, Ärzte als fachlich qualifizierte Ansprechpartner für Fragen der Organspende gesetzlich vorzusehen.

Grüne fordern Fortsetzung der Organspende-Debatte

Kritisch äußerten sich dagegen die Bundestagsabgeordneten Elisabeth Scharfenberg und Dr. Harald Terpe von Bündnis 90 / Die Grünen. „Die Debatte um Verbesserungen in der Transplantationsmedizin muss weitergehen. Die Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Transparenz der Arbeit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) sind absolut unzureichend“, erklärten die beiden Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit in einer Presseaussendung vom 1. Mai mit Blick auf diverse Vorwürfe gegen die DSO u. a. der Vetternwirtschaft (siehe dazu das Themenspecial vom 31.03.12 unten).

Die bisherige Organisation der DSO als private Stiftung ermögliche kaum eine wirksame Kontrolle. Dies sei aber von entscheidender Bedeutung, um einen weiteren Vertrauensverlust in der Bevölkerung und beim medizinischen Personal in Kliniken zu vermeiden. „Wir plädieren für eine Rechtsform, die mehr Transparenz und Kontrolle zulässt. Denkbar wäre beispielsweise eine Anstalt öffentlichen Rechts“, so die beiden Grünen.

„Wir haben die Koalition und auch die SPD im Gesetzgebungsverfahren aufgefordert, dem Parlament mehr Zeit zur Entwicklung einer tragfähigen und zielführenden Lösung zu geben. Dazu gab es keine Bereitschaft. Stattdessen ist das Gesetz völlig überstürzt am vergangenen Freitag beschlossen worden. Dafür fehlt uns weiterhin jedes Verständnis“, kritisierten Terpe und Scharfenberg. „Auch mit anderen Aspekten der Organspende, die eine weitreichende ethische Dimension haben, müssen wir uns weiterhin befassen. Dazu gehört auch der Umgang mit neuen Erkenntnissen zur Hirntoddiagnostik“, so die Parlamentarier.

Weiterführende Informationen:

Presseschau zum Tag der Organspende 2012 am 02.06.12

Ergänzend finden Sie eine Presseschau zum Tag der Organspende 2012 am 02.06.12 mit ausgewählten Meldungen.

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