Illustration Debatte um Entscheidungslösung bei Organspenden

24.09.11: Bundesrat für Entscheidungslösung bei Organspende – Bundesärztekammer vollzieht aus juristischen Gründen Wandel bei Erklärungspflicht

24.09.11: Bundesrat für Entscheidungslösung bei Organspende – Bundesärztekammer vollzieht aus juristischen Gründen Wandel bei Erklärungspflicht

Bild BundesratIn der Debatte um eine Neuregelung der Organspende fordert der Bundesrat in seiner am 23.09.11 vorgelegten Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem sie die Europäische Transplantations-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen will, die derzeit geltende erweiterte Zustimmungslösung zur Organspende in eine Erklärungslösung umzuwandeln. Der Bundesrat folgt damit einem Beschluss des Gesundheitsausschusses vom 07.09.11 (siehe dazu das Themenspecial vom 09.09.11).

Bei der Erklärungs- bzw. Entscheidungslösung sollen die Bürger in einem geregelten Verfahren über die Organspende informiert und zu einer persönlichen Erklärung aufgefordert werden, ob sie einer Organspende zustimmen, nicht zustimmen oder sich nicht erklären möchten. Die Länder erhoffen sich hierdurch eine Steigerung der Organspenderzahlen, da die „Erklärungslösung“ gute Voraussetzungen für eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz biete.

Zusätzlich will der Bundesrat klarstellen lassen, dass die Bürger bereits zu Lebzeiten Vertrauenspersonen namentlich benennen können, die nach dem Tod der Betroffenen anstelle von Angehörigen einer Organ- oder Gewebeentnahme zustimmen oder ihr widersprechen können. Zudem fordert er die Bundesregierung auf, die versicherungsrechtliche Absicherung von Organlebendspendern zu verbessern.

Bundesärztekammerpräsident warnt vor Änderungen der Richtlinienkompetenz bei Transplantationsregelung

Bild MontgomeryIn einem dringlichen Schreiben hatte zuvor Bundesärztekammer-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery laut Mitteilung vom 19.09.11 an die Regierungschefs der Länder appelliert, der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses des Bundesrates in Sachen Transplantationsgesetzes (TPG) nicht zu folgen. Er warnte davor, dass diese Beschlussempfehlung zu einem „für die Ärzteschaft unbegreiflichen Einstieg in eine patientenferne Staatsmedizin führen“ würde, die „keinerlei Nutzen für diese zumeist vital bedrohten Patienten“ erkennen lasse, schreibt Montgomery.

Das Votum des Gesundheitsausschuss sehe unter anderem vor, künftig sämtliche Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organtransplantation einschließlich der Richtlinien zur Hirntodfeststellung einem Genehmigungsvorbehalt durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu unterstellen. „Woher das BMG die notwendige Sachkompetenz zur Beurteilung der Richtlinien nehmen soll, ist der Beschlussempfehlung nicht zu entnehmen“, kritisierte Montgomery. Zudem könnten Meinungsverschiedenheiten über den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht durch eine Entscheidung des BMG behoben oder ersetzt werden.

Ebenso sei wenig erkennbar, wieso die zuständige Kommission von der Bundesärztekammer losgelöst werden und künftig als kleines autonomes Gremium unmittelbar Beschlüsse fassen soll. Das sei eine „demonstrative Abkehr von einer selbstverwaltungsgetragenen Aufgabenwahrung“, die die verfasste Ärzteschaft nicht nachvollziehen könne. Noch dazu habe bisher niemand bezweifelt, dass die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer sachlich angemessen ist und zu akzeptierten Ergebnisse führt, so Montgomery.

Insgesamt wäre eine Veränderung der Rechtslage mit einer „unverständlichen und nicht vertretbaren Einschränkung der Arbeit zu den Richtlinien zur Organtransplantation belastet“, die „nicht gerechtfertigt und für die Patientenversorgung sehr nachteilig“ sei, so sein Fazit. Er bat daher nachdrücklich darum, von den Novellierungsvorschlägen in diesen Punkten in der Bundesratssitzung Abstand zu nehmen.

Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung gegen Erklärungslösung

E. BryschDie Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung begrüßte unterdessen, dass zukünftig alle Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organspende durch das Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden müssen. „Dies ist ein erster Schritt hin zu der lange von Patientenschützern geforderten demokratischen Legitimation bei der Vergabe und Vermittlung von Organen. Die Entscheidung über Leben und Tod darf nicht einer privatrechtlichen Standesvertretung wie der Bundesärztekammer überlassen werden“, erklärte der Geschäftsführer der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in einer Pressemitteilung.

Deshalb sei Ärztepräsident Montgomery zu widersprechen, wenn er beklagt, dass damit die Selbstbestimmung der Bundesärztekammer eingeschränkt werde. „Es geht nicht um die Einführung einer Staatsmedizin, sondern um klare Kriterien bei der Verteilung von Lebenschancen. Dafür ist aber nicht die ärztliche Standesvertretung zuständig, sondern das Parlament“, betonte Brysch.

Auf große Bedenken stößt bei den Patientenschützern dagegen die geplante Erklärungslösung. „Wie ist Selbstbestimmung des potenziellen Spenders möglich, wenn er nicht über Hirntodkriterien und Verteilungspraxis aufgeklärt wird? Der Bundestag hat im anstehenden Gesetzesvorhaben zu klären, welche Voraussetzungen für eine objektive Beratung vorliegen müssen. Dass diese Kriterien bei der Ausgabe des Passes auf dem Bürgeramt erfüllt werden, ist unmöglich“, kritisierte Brysch.

Bundesärztekammer vollzieht Wandel bei Erklärungspflicht

Im Zusammenhang mit der Erklärungslösung vollzog die Bundesärztekammer unterdessen einen bemerkenswerten Wandel. Auf dem 114. Deutsche Ärztetag im Juni hatten die Delegierten den Beschluss für eine „Selbstbestimmungslösung mit Information und Erklärungspflicht“ gefasst, im Glauben, es sei möglich, jeden Bürger zu einer klaren Aussage für oder gegen die Organspende verpflichten zu können.

In einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ vom 19.09.11 erklärte Montgomery nun eine Abkehr von den Beschlüssen. „Verfassungsjuristen haben uns inzwischen zu der Erkenntnis gebracht, dass eine Erklärungspflicht, bei der sie einen Menschen zwingen, zur Organspende Ja oder Nein zu sagen, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist“, sagte Montgomery.

„Wir haben zu akzeptieren, dass ein Mensch keine Entscheidung über die Organspende treffen möchte.“ Insofern unterstütze die Bundesärztekammer die von den Fraktionschefs der Union und der SPD, Kauder und Steinmeier, vorgeschlagene Entscheidungslösung. Nun gehe es darum, wie die Bürger besser informiert werden können, wann das Gespräch mit ihnen gesucht und wo die Antwort dokumentiert werde, so Montgomery. Er schlug vor, auf der elektronischen Gesundheitskarte freiwillige Angaben zu speichern. Nichts spreche dagegen, hier auch das „Ja“, „Nein“ oder „Keine Entscheidung“ zur Organspende zu vermerken.

Weiterführende Informationen:

Pressespiegel zum Beschluss des Bundesrats zur Entscheidungslösung und zum Richtungswechsel der Bundesärztekammer

Neuregelung für die Organspende gefordert
Berlin (kobinet) Hessens Sozialminister Stefan Grüttner tritt für eine Neuregelung für die Organspende ein. Eine Erklärungslösung ohne jegliche Verpflichtung sei reiner Etikettenschwindel.
KOBINET-Nachrichten 26.09.11

Organspende darf kein Vehikel für elektronische Gesundheitskarte sein
„Die Information über die Bereitschaft zur Organspende kann ebenso gut auf der derzeitigen Versichertenkarte gespeichert werden. Die e-card ist dafür nicht nötig. Bahr missbraucht das Thema Organspende als Vehikel, um die e-card flächendeckend einführen zu können“, sagt Martina Bunge zu Vorstößen des Gesundheitsministers Bahr, die Krankenkassen und die e-card in die Abfrage der Bereitschaft zur Organspende einzubeziehen.
PRESSEMITTEILUNG Die Linke. im Bundestag 26.09.11

Ein guter Schnitt
Anmerkungen zur Organtransplantation
Sachbuchautor Richard Fuchs prangert an, wie nach dem Hirntod mit Patienten verfahren wird: Ohne Schmerzmittel – und der Vertrag mit der Krankenkasse erlischt.
von Gabriele Goettle
TAZ 26.09.11

Die Farce der Farce
Ulrike Baureithel
Eigentlich wollte Bahr dieser Tage sein Konzept zur Reform der Pflegekasse vorstellen. Dann fuhr dem Minister die CSU in die Parade und erneut lautet seine Parole: Aufschub
DER FREITAG 23.09.11

Novellierung des Transplantationsgesetzes: Die Erklärungslösung wird favorisiert
Richter-Kuhlmann, Eva; Siegmund-Schultze, Nicola
Gesetzesänderungen betreffen die Willenserklärungen der Bevölkerung, möglicherweise aber auch die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer.
Deutsches Ärzteblatt 2011; 108(38) 23.09.11

Organspende: Bundesrat will erklären lassen
Ärzte Zeitung online, 23.09.11

Patientenschützer begrüßen den lange geforderten ersten Schritt zur demokratischen Legitimation bei der Vergabe und Vermittlung von Organen.
Ohne Aufklärung ist die Selbstbestimmung bei der Erklärungslösung nicht gegeben.
Zum heute anstehenden Beschluss des Bundesrates unter dem Tagesordnungspunkt 40 zum geplanten Transplantationsgesetz erklärt der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, in Berlin:
Die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung begrüßt, dass zukünftig alle Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organspende durch das Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden müssen.
PRESSEMITTEILUNG Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung 23.09.11

Bundesrat fordert „Erklärungslösung“ zur Organspende
In seiner heutigen Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung die Europäische-Transplantations-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen will, fordert der Bundesrat, die derzeit geltende erweiterte Zustimmungslösung zur Organspende in eine Erklärungslösung umzuwandeln.
PRESSEMITTEILUNG Bundesrat 23.09.11

Bundesrat berät Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes
Der Bundesrat hat heute den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes im 1. Durchgang beraten und eine Stellungnahme zum Regierungsentwurf beschlossen. Der Regierungsentwurf dient der Umsetzung der europäischen Richtlinie 2010/53/EU über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe.
PRESSEMITTEILUNG Bundesministerium für Gesundheit 23.09.11

Organspende: BÄK schlägt neuen Kurs ein
Die Bundesärztekammer wollte die Erklärungspflicht für die Organspende. Doch es gab Zweifel – nun hat die BÄK ihre Position geändert. Das Problem ist das Grundgesetz.
Von Rebecca Beerheide
Ärzte Zeitung online 19.09.11

Erklärungspflicht: Ärzteschaft ändert Position bei Organspende
Berlin. Die Ärzteschaft hat ihre Bestrebungen aufgegeben, alle Bürger zu einer Erklärung über eine Organspende verpflichten zu wollen.
DER WESTEN 19.09.11

Montgomery gegen staatsmedizinische Anträge in Sachen Transplantationsgesetz
Berlin. In einem dringlichen Schreiben hat Bundesärztekammer-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery an die Regierungschefs der Länder appelliert, der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses des Bundesrates in Sachen Transplantationsgesetzes (TPG) nicht zu folgen. „Diese Beschlussempfehlung würde zu einem für die Ärzteschaft unbegreiflichen Einstieg in eine patientenferne Staatsmedizin führen, die keinerlei Nutzen für diese zumeist vital bedrohten Patienten erkennen lässt“, schreibt Montgomery.
MITTEILUNG Bundesärztekammer 19.09.2011

Gesundheitskarte als Spenderausweis
Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hat einen Vorschlag, wie man mehr Menschen zur Organspende bewegen kann
Timot Szent-Ivanyi
BERLINER ZEITUNG 19.09.11

Normalfall Organspende: Widerspruch bald nur noch geduldet?
Oliver Tolmein
FAZ.NET Blog Biopolitik 17.09.11

Alle Hoffnung ruht auf der Entscheidungslösung
Soll jeder Bürger mindestens einmal im Leben entscheiden müssen, ob er Organe spenden möchte oder nicht?
Ärzte Zeitung, 14.09.11

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